Stimulus-Pakete werden Weltwirtschaftsverluste nicht kompensieren

16.06.2020

von re. nach li.: Anton Brender, Chefökonom von Candriam, Florence Pisani, Global Head of Economic Research bei Candriam / Fotos: © Candriam

Um die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen, haben Regierungen weltweit große Teile ihrer Volkswirtschaften zum Stillstand gebracht. Zugleich haben sie diesen Bereichen eine schnelle und umfassende Unterstützung zukommen lassen. Die bisher ergriffenen Maßnahmen werden aber trotz ihres Umfangs wahrscheinlich nicht ausreichen, um die Weltwirtschaft wieder auf Kurs zu bringen.

Weltwirtschaft: Gewaltiger Schock

Der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit war überall so drastisch, dass es schwierig ist, dessen Ausmaß zu erfassen. Ebenso schwierig ist es, vorherzusagen, wie schnell sich die Weltwirtschaft wieder erholen wird. Schwer zu prognostizieren ist darüber hinaus auch das Ausgabeverhalten der Haushalte nach dem Ende der Corona-Maßnahmen: Die gestiegene Ungewissheit, die entstandene Konzentration der überschüssigen Ersparnisse bei den Reichsten der Bevölkerung, aber auch eine mögliche Entwicklung hin zu einem sparsameren Konsum könnten zu einer nur schwachen Erholung führen.

„Außerdem ist das Ausmaß der Schäden, die das wirtschaftliche Gefüge genommen hat, noch weitgehend unbekannt“, sagt Anton Brender, Chefökonom von Candriam. In den meisten Industrieländern haben die Regierungen zwar energisch gehandelt und den größten Teil der Lohn- und Gehaltseinbußen durch Hilfen ausgeglichen. Doch nirgendwo haben sie die schwindenden Betriebsergebnisse der Unternehmen kompensiert. In den Vereinigten Staaten wie auch in Europa könnten sich die Verluste der Unternehmen auf zwischen 15 und 30 Prozent ihrer Investitionsausgaben belaufen. Ohne zusätzliche fiskalpolitische Anreize ist es wenig wahrscheinlich, dass die Investitionen in die Produktion schnell wieder das Niveau von vor der Krise erreichen werden und die Wirtschaftstätigkeit könnte für lange Zeit schwach bleiben.

USA: Von der gesundheitlichen zur politischen Krise

In den USA scheint der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit weniger stark zu sein als im Durchschnitt der Länder der Eurozone. „Dennoch hat die Krise die Sektoren mit den großen Arbeitgebern nicht minder hart getroffen“, ergänzt Brender. Trotz massiver fiskalpolitischer Unterstützung, einschließlich eines Anreizes für kleine Unternehmen zum Stellenerhalt – das Paycheck Protection Program – ist die Arbeitslosenquote im April auf 20 Prozent gestiegen, um im Mai wieder ein wenig zurückzugehen. Ebenso spektakulär war der explosionsartige Anstieg der Sparquote der Haushalte: Sie spiegelt einen deutlichen Konsumrückgang und eine relative Stabilität ihrer Einkünfte dank des Anstiegs der erhaltenen Staatshilfen wider. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Demokraten und Republikanern über die Hilfen für Bundesstaaten und Kommunen behindern im Moment den Abschluss einer neuen Haushaltsvereinbarung. Die nahenden Präsidentschaftswahlen und die Verschlechterung der politischen Lage durch die jüngste Zuspitzung der Unruhen in den USA könnten für Druck sorgen, einen Kompromiss zu finden. Vor diesem Hintergrund würde das US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) Ende 2020 immer noch fünf Prozent unter dem zu Jahresanfang erwarteten Niveau liegen und die Wirtschaft würde im Jahresdurchschnitt um fast 6,5 Prozent schrumpfen.

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