Stagflationsschock

28.03.2022

Matteo Cominetta, Senior Economist und Stratege beim Barings Investment Institute - Foto: © Barings

Auch wenn das Wetter draußen trübe Gedanken für einen Moment verschwinden lässt, so ist die gegenwärtige Situation in der Welt und den Finanzmärkten doch eher sehr wolkenverhangen. Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben. finanzwelt sprach hierzu vor kurzem mit Matteo Cominetta, Senior Economist und Stratege beim Barings Investment Institute. 

finanzwelt: Inflation ist eines der zentralen Themen auf dem Kapitalmarkt. Warum ist das „Schreckgespenst“ wieder zurück? Matteo Cominetta: Die Inflation beschäftigt die Anleger wieder. Nicht nur, weil sie bereits ein Niveau erreicht hat, das zuletzt vor 40 Jahren zu beobachten war, sondern auch wegen der Geschwindigkeit, mit der sie steigt und weil sie damit Politiker, Wirtschaftswissenschaftler und Anleger gleichermaßen überrascht hat.

Diese überraschende Beschleunigung hat lange bestehende Gewissheiten in Frage gestellt: Anleger fragen sich, wo die Inflation ihren Höhepunkt erreichen wird und wie lange es dauern wird, bis sie sich wieder normalisiert. Auch das Verständnis der politischen Entscheidungsträger für die aktuelle Situation wird als dürftig angesehen, was die geldpolitische Reaktion besonders unklar macht. Die langfristigen Inflationserwartungen sind jedoch nach wie vor verankert, was ein Zeichen dafür ist, dass die Anleger immer noch daran glauben, dass die Zentralbanken die Inflation letztlich in den Griff bekommen werden. Die Unsicherheit konzentriert sich auf die Entwicklungen in den nächsten 1-2 Jahren.

finanzwelt: Wird sich die hohe Teuerung in den USA fortsetzen? Cominetta: Das ist sehr wahrscheinlich. Die beispiellose fiskalische Unterstützung hat die Einkommen der Haushalte stark erhöht, so dass die US-Familien nicht nur einen Konsumboom finanzieren, sondern auch riesige Geldbeträge sparen können. Diese sollten eingesetzt werden, um den Konsumboom fortzusetzen. Diese starke Nachfrage trifft auf brüchige Lieferketten, die bis weit in das Jahr 2023 hinein beeinträchtigt bleiben dürften, so dass das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ungewöhnlich groß ist und die Preise weiterhin unter Aufwärtsdruck stehen.

Da die USA von den wirtschaftlichen Folgen der Invasion in der Ukraine und den Sanktionen weitgehend verschont geblieben sind, dürfte das Wachstum in den USA nicht wesentlich darunter leiden. Höhere Energiepreise könnten das inflationäre Umfeld sogar noch verstärken und die Inflation in den Jahren 2022 und 2023 wahrscheinlich auf einem hohen Niveau halten.

finanzwelt: Gibt es bei unseren atlantischen Partnern Zweitrundeneffekte, die die Inflation weiter anheizen? Cominetta: Die kurzfristigen (1-Jahres-) Inflationserwartungen und die Löhne sind in den USA bereits beträchtlich gestiegen, was darauf hindeutet, dass dort bereits Zweitrundeneffekte zu wirken beginnen. In der Tat dürfte dies einer der Hauptgründe sein, die die US-Notenbank dazu veranlassen, die Straffung zu beschleunigen.

Im Euroraum sind bisher keine eindeutigen Anzeichen für Zweitrundeneffekte zu erkennen.

finanzwelt: Ist Stagflation unter diesen Umständen ein Thema? Cominetta: Auf jeden Fall in Europa. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine wird Europa einen Stagflationsschock versetzen: Die Energiepreise werden wahrscheinlich auf absehbare Zeit auf einem Niveau bleiben, das den Gewinnen der EU-Unternehmen und dem Verbrauch der Haushalte schadet und die Unsicherheit wird das Verbrauchervertrauen schwächen, was sich in einer Wachstumsverlangsamung mit anhaltender Inflation niederschlagen wird. In einem schweren Szenario mit sehr harten Sanktionen (z. B. einem Embargo gegen russische Energieexporte) und/oder anderen schwerwiegenden Unterbrechungen der Versorgungsketten wird der Schock wahrscheinlich stark genug sein, um Europa ab der zweiten Hälfte dieses Jahres eine regelrechte Stagflation (d. h. Rezession und beschleunigte Inflation) zu bescheren.

Die USA sind weniger abhängig von Energieimporten und der Krieg ist geografisch weit entfernt, so dass wir davon ausgehen, dass die Auswirkungen auf die US-Wirtschaft geringer, aber nicht vernachlässigbar sein werden. Wir gehen davon aus, dass sich das US-Wachstum im schweren Szenario halbieren wird (3 % im Jahr 2022 und 1,5 % im Jahr 2023). (ah)