Sanfte Landung und tickende Schuldenbombe?

05.08.2024

Rolf Ehlhardt - Foto: © I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH

Die Stimmung an der Börse ist sehr gut. Allerdings werden seit geraumer Zeit die Indices von immer weniger Aktien dominiert (ca. 25 Prozent der Performance beim S&P 500 entfällt auf Nvidia). Ein typisches Phänomen der Endphase einer Hausse. Aber die Hoffnungen sind groß, vielleicht zu groß. Der entscheidende Glaube ist, dass es den Notenbanken gelingt, die Inflation auf zwei Prozent zu drücken, ohne dass die Wirtschaft in die Rezession rutscht. Das wäre auch toll. Ein großes Problem ist dabei, dass dies der Fed noch nie gelungen ist. Zumindest nicht in den letzten Jahrzehnten. Aber bleiben wir in diesem Jahrhundert.

Aus der Technologieblase wollte man vorsichtig „die Luft rauslassen“ zur weichen Landung. Erfolgt ist dann der Dotcom-Crash. Eine „sanfte Landung“ wurde von Ben Bernanke 2007 ausgerufen. Es folgte 2009 eine Rezession, bei der die Arbeitslosenquote auf fast zehn Prozent stieg. Ein weiterer Hoffnungsträger einer stabilen Börse ist die fast einheitliche Meinung, dass die Notenbanken bei ersten Schwächen der Wirtschaft die Zinsen senken werden, was die EZB auch schon begonnen hat. Auch die Fed dürfte in diesem Jahr noch die Zinsen zurücknehmen, wenn die Wirtschaft anfängt zu schwächeln. Noch hofft die Börse auf die Zinssenkung, und dass Trump nicht so schlimm regiert, wie man glaubt.

Ausgeblendet ist derzeit, dass wir uns im Krieg befinden (Ukraine und Israel), dass die Inflation wieder steigen, und dass die Zusammenballung der BRICS-Staaten eine Weltveränderung bringen könnte. Aber wie reagieren die Kurse, wenn die Börse Zinssenkungen als Warnsignal erkennen für eine plötzlich doch denkbare Rezession und diese bei wieder steigender Inflation? Der DAX konnte jedenfalls seit der ersten Zinssenkung Anfang Juni kein Terrain gewinnen.

Zudem hat die Welt einen gigantischen Schuldenberg aufgebaut, bei der immer mehr Staaten die 100Prozent-Grenze zum BIP überspringen. Eine Trendumkehr ist nahezu ausgeschlossen. Selbst der jüngst beschlossene deutsche Haushalt unter „Beibehaltung“ der Schuldenbremse könnte ein übler Griff in die Trickkiste gewesen sein. Denn die „Ampel“ hat einfach das Wirtschaftswachstum auf 1,5 Prozent erhöht, verbunden mit höheren Einnahmen. Für 2024 ist nur mit einem Miniwachstum von 0,2 Prozent zu rechnen. Was passiert aber, wenn wirklich eine Rezession eintritt? Die Schuldenbremse wieder aufheben? Oder wieder einen weiteren „Vermögensfonds“ auflegen, obwohl sich deren Schulden bereits auf ca. einer Billion kumulieren, so dass bereits heute die obige Grenze von 100 Prozent erreicht ist?

Noch gravierender ist die Lage bei der führenden Nation USA. Die kommen mit ca. 130 Prozent Schulden zum BIP den Ländern Italien und Griechenland erschreckend nahe. Und die Programme bei der Präsidentenanwärter/in sind äußerst Kredit finanziert. Erschreckend ist auch, dass in den USA die Hälfte des Haushaltsdefizits bereits der Zinszahlungen für ihre Kredite geschuldet ist. In den kommenden 18 Monaten werden hohe Kredite zu niederen Zinsen fällig, die jetzt zu höheren Zinsen prolongiert werden müssen. Die Zinslast dürfte demnach tendenziell steigen. Sogar JPMorgan warnt vor ausufernden Haushaltsdefiziten und der hohen Staatsverschuldung.

Der Anstieg der Zinsen werden auch Konsumentenkredite und vor allem Baufinanzierungen verteuern. In Deutschland sind Neufinanzierungen schon dramatisch eingebrochen. Jetzt müssen die nächsten Jahre auch die Altfinanzierungen mit Zinsfestschreibungen der letzten zehn Jahre prolongiert werden. Selbst wenn Liquidierungen weitestgehend ausbleiben, werden Mehrausgaben für Finanzierungen dem Konsum schaden. Zwangsverkäufe würden den Immobilienmarkt zusätzlich belasten und damit auch das Wirtschaftswachstum.

Ein weiteres Manko stellt die westliche Politik dar. Immer mehr Populisten drängen an die Macht, verbunden mit einer immer größer werdenden gesellschaftlichen Spaltung, sowohl innerhalb der EU, als auch in der Beziehung zu den USA. Die Verschuldungen sind bereits gigantisch, aber eine Trendwende ist nicht in Sicht. Diese wären bei uns noch irgendwie vertretbar, wenn die Kredite für die Verbesserung der Wettbewerbsposition und der Steigerung der Produktivität eingesetzt würden und nicht für Militär, Sozialausgaben und übertrieben Klimaschutz. Auch die Ausgaben für Entwicklungshilfen müssten auf den Prüfstand. Die Forderung nach Sonderbesteuerung der „Reichen“ geht in die falsche Richtung.

Trotz aller Risiken kann eine weitere Erhöhung des Schuldenberges von der Börse eine Zeitlang akzeptiert werden, die Wirtschaftslage stabilisieren, aber die Inflation steigen lassen. Dieses Szenario könnte den Aktien weiter Auftrieb geben, insbesondere den zurückgebliebenen Standartwerten und den Rohstoffaktien.

Andererseits sind die Aktien der Technologiebranche, vor allem mit der Phantasie „künstliche Intelligenz“ drastisch überbewertet. Es fällt ihnen immer schwerer die Umsatz- und Gewinnschätzungen zu erfüllen. Fondsmanager kaufen zum Beispiel Nvidia nicht mehr aus Überzeugung, sondern weil eine Mehr-Performance nur mit dieser Aktie machbar war. Die ersten Schwächen am Arbeitsmarkt sind Warnsignale. Sollten sich die Anzeichen mehren, wird die Fed im September die erste Zinssenkung beschließen. Doch auch die Wirkung von Zinssenkungen benötigen 12 bis 18 Monate, um eventuell positiv auf die Wirtschaft zu wirken. Es gibt ersthafte Zweifel, ob die Börse die Zinssenkungen bullish bewertet. Oder ob sie annimmt, dass die Wirtschaft -wie in den letzten Jahrzehnten- erst in eine Rezession fällt. Dann wäre die Märkte überbewertet. Stopp- Marken, vor allem bei den bisherigen Börsenfavoriten erscheinen angebracht. Wie sagte ich kürzlich bei einem Vortrag: Ich bin nicht pessimistisch, sondern vorsichtig. Der Optimist kauft Gold, der Pessimist Konserven.

Die Anleger sollten aufgrund der weiter steigenden Risiken in einen mindestens zehn prozentigen Anteil in Edelmetallen/-Aktien diversifizieren. Die aktuelle Konsolidierung (Goldperformance in 2024: 17 Prozent/ DAX: zehn Prozent) sollte zum Auf- und/oder Ausbau der Positionen genutzt werden. Ein Ausbruch des Kurses über die 2.450 Dollar dürfte ein deutliches Signal für die nächste Kursrallye sein.

Marktkommentar von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH.