„Plattformisierung hat das Potenzial, viele Gewinner zu schaffen“
19.02.2024
Jürgen Litz, Geschäftsführer der cobra – computer’s brainware GmbH, spricht im Interview über die Potenziale eines digitalisierten Mittelstandes und wie sich entscheidende Wettbewerbsvorteile aus der einmaligen Struktur dieses Wirtschaftsmotors ziehen lassen.
Herr Litz, als Geschäftsführer eines Software-Unternehmens für Customer-Relationship-Management-Systeme haben Sie sich besonders dem Mittelstand verschrieben. Wie sehen Sie den Wirtschaftsmotor zurzeit aufgestellt?
Jürgen Litz: Deutlich besser, als er in der allgemeinen Wahrnehmung wegkommt. Zwar haben die diversen Krisen ihre Spuren hinterlassen, doch konnte sich die Wirtschaft im deutschsprachigen Raum aufgrund ihrer Struktur halbwegs gut aus der Affäre ziehen. Hier fehlen ökonomische Big Player, doch liegen Potenziale an einer ganz anderen Stelle. Wir können mit einem Alleinstellungsmerkmal aufwarten, für das uns die ganze Welt beneidet: eine Basis aus mittelständischen Unternehmen, die in Größe und Umsatz allein für sich genommen niemals einem internationalen Vergleich standhalten würden, jedoch in ihrer Gesamtheit eine ganze Volkswirtschaft tragen.“
Sie bemängelten in den Jahren vor der Pandemie häufig den Stand der Digitalisierung im Mittelstand. Hat sich hier in der Krise etwas grundlegend geändert?
Litz: Tatsächlich ja, wenn auch an mancher Stelle sicher nicht freiwillig. Dennoch: Pandemie und damit einhergehende Einschränkungen haben selbst die letzten Mittelständler dazu bewegt, sich der Digitalisierung zu öffnen und damit den Grundstein für weitere technologieoffene Schritte zu legen. Die Bereitschaft für Entwicklung lässt sich – noch viel mehr als vor drei oder vier Jahren – deutlich erkennen. Jetzt gilt es diese Chance zu nutzen.
Wie sieht diese Chance aus?
Litz: Seinen Mitarbeitern Homeoffice-Möglichkeiten zu geben und Meetings nun über ZOOM oder Microsoft Teams abzuhalten, macht aus einem statischen Dampfer natürlich noch kein agiles Schnellboot. Als wirklich wichtig erweist sich nun, was sich strukturell aus dieser Basis machen lässt. Ein mutiger Schritt in Kombination mit der richtigen Technologie hat das Potenzial, die ‚Hidden Champions‘ beziehungsweise den gesamten Mittelstand zu entfesseln, und entpuppt sich damit als Hoffnungsträger.“
Können Sie diesen Begriff etwas näher erläutern?
Litz: Wer aus einer gewissen Entfernung auf den deutschsprachigen Wirtschaftsraum blickt und ihn mit ökonomischen Powerhouses wie den USA oder China vergleicht, könnte einen klaren Eindruck gewinnen: Die ehemalige Weltwirtschaftsmacht wird abgehängt. Mit den Amazons, Alibabas, Googles oder Tencents dieser Welt lässt sich im Herzen Europas nur schwer konkurrieren. Vor allem da Konglomerate dieser Größe ihre eigenen Plattformen entwickelt haben und mit ihrer internationalen Strahlkraft dafür sorgen, dass sich kleinere Unternehmen von ihnen abhängig machen. Die Abhängigkeit von den großen Plattformen zu verringern – und das durch eine eigene Plattform für das eigene Geschäftsmodell – nennt sich Plattformisierung. Damit stehen Unternehmen nicht im Wettbewerb mit großen Plattformen, transformiert und stärkt aber das eigene Geschäft durch die Chancen der Plattform-Unterstützung. Dies ermöglicht beispielsweise eine verbesserte Kundenbeziehung.“
Wie sollen diese deutlich kleineren Unternehmen denn mit US-amerikanischen oder chinesischen Big Playern mithalten?
Litz: Zwar erweisen sich viele Mittelständler in Rubriken wie Betriebsgröße, Mitarbeiteranzahl oder Umsatz in diesem Vergleich als kleine Lichter – in ihren oft sehr speziellen Fachgebieten sind sie allerdings nicht selten Weltmarktführer. Ein kleiner Betrieb, der Gummidichtungen für die Türen eines bestimmten Automodells herstellt, mag zwar nicht das glorreichste internationale Ansehen haben, erweist sich für die Produktionskette dieses Handelsguts allerdings als unverzichtbar. Dies ist nur eins von unzähligen Beispielen. Diesen Vorteil müssen sich mittelständische Unternehmen zunutze machen.“
Wie kann das schlank realisiert werden? Lässt sich bereits eine technologische Bewegung in diese Richtung feststellen?
Litz: Der Trend im Commerce geht ganz klar weg von der alten Frontend-zu-Backend-Struktur, sondern bewegt sich immer weiter in Richtung Headless – also kopflose – Systeme. Dieser Ansatz trennt Front- und Backend voneinander und sämtliche Komponenten, die im Zusammenschluss dafür sorgen, dass die Kundeninteraktion funktioniert. Suchfunktion, Darstellung der Produkte, Datenbank und Check-out sind nicht voneinander abhängig und werden mittels API-Schnittstellen über eine Frontendtechnologie verbunden. Deutsche Mittelständler werden dadurch immer öfter zu Service-Unternehmen, die immer ganzheitlicher die Probleme ihrer Kunden lösen. Die nächste Stufe bilden dann Customer Experience oder Cocreation, was die gemeinsame Wertschöpfung mit den Kunden beinhaltet. Um diese Evolution zu ermöglichen, brauchen Unternehmen allerdings eine neue Qualität der technologischen Unterstützung.“
Wie genau sieht diese aus?
Litz: Im allgemeinen Diskurs werden Plattformen häufig auf Marktplätze oder Technologie-Plattformen reduziert. Hier erweist sich der Mittelstand zu oft eher als Blinddarm denn als Souverän seiner eigenen Transformation. Unternehmen wie Amazon oder Alibaba bedrohen wie bereits erwähnt diesen Wirtschaftsstand, wenn sie zunehmend nicht nur die Markt- und Kundenschnittstelle übernehmen, sondern im Zweifel sogar zum schärfsten Wettbewerber aufsteigen. Die Antwort auf diese Bedrohungen ist so simpel wie intuitiv: Es geht darum, die Wertschöpfung zu optimieren und so das eigene kokreative Ökosystem neu zu stärken. Ein CRM – also Customer-Relationship-Management-System –, das sich in diese Richtung weiterentwickelt, kann den Kern einer umfassenden Customer-Plattform bilden.“
Hat die cobra – computer’s brainware GmbH diesen Weg selbst bereits eingeschlagen?
Litz: Tatsächlich
ist es uns gelungen, die Customer-Experience-Ebene als eine sogenannte
CXM-WEB-CONNECT-Lösung zu realisieren, in die beliebige Applikationen
von einzelnen Formularen bis zu Shopsystemen schlank an das CRM über
intelligente Schnittstellen angebunden werden. Durch diese
Headless-Struktur und eine Anbindung an die eigene Website lässt sich
einfach und leistungsfähig der Weg in Richtung Unabhängigkeit ebnen. Der
deutsche Mittelstand besteht aus einer Fülle an verstecktem Potenzial,
das nur darauf wartet, ans Licht zu treten und einen wirtschaftlichen
Aufschwung zu forcieren. Plattformisierung hat das Potenzial, viele
Gewinner zu schaffen. (fw)