Parallelen: NSA-Skandal und ungleiche Vermögensverteilung

29.10.2013

**Nach Eintreten der Great Recession begannen die entwickelten Volkswirtschaften mit ihrem Deleveraging. Manche Marktteilnehmer haben ihren Entschuldungsprozess nahezu abgeschlossen (US Konsument), andere noch nicht einmal damit begonnen (kanadischer Konsument). **Markus Schuller, Gründer von Panthera Solutions, vergleicht.

(fw/ah) Alle haben gemein, dass sich deren politische Repräsentanten auf Ebene der G20 in den Jahren 2008 und 2009 darauf einigten, die Krise als Einladung für Strukturreformen und nicht für Systemumstellungen zu verstehen. Seitdem wird national und supranational an den Strukturen gearbeitet. Beispielhaft sei die Re-Regulierungswelle am Finanzmarkt angeführt.

Den entwickelten Volkswirtschaften ist zudem gemein, dass deren Regierungen und Notenbanken einen Zugriff auf die Sparguthaben der Mittelschicht via Finanzieller Repression zumindest geschehen lassen, um einen Notenbanker zu zitieren.

Systemfragen wie zum Beispiel der Aufbau unseres Geldsystems (Fiat Money System, Zinseszins, et cetera) wurden nicht gestellt, obwohl die gewählten Geldsystem-Parameter starken Anteil an langfristigen Kreditzyklen haben (Ray Dalio, 2013).

Nun sind strukturelle Anpassungsprozesse in Phasen der Entschuldung durchaus angebracht, doch nicht ausreichend, um eine möglichst kontinuierliche volkswirtschaftliche Entwicklung im interdependenten System zu erreichen. Die Arbeit an Systemfragen lässt sich aber nur schwer erzwingen.

Derzeit ist hierzu keine Bereitschaft auf Seiten der politischen Repräsentanten erkennbar. Jörg Asmussen, deutscher EZB Direktor, vor zwei Wochen auf der IIF Jahrestagung in Washington: „More recently, however the G20 seems to have lost its earlier momentum."

Er schlägt ein permanentes G20 Sekretariat, eine fokussiertere Agenda und einer Etablierung von konkreten, messbaren Zielvorgaben vor. Für sich genommen würden seine Ideen die G20 Plattform durchaus stärken. Der fehlenden demokratischen Legitimation wäre damit jedoch kein Ende gesetzt.

Nun zurück zu den Systemfragen. Asmussen zeigte deutlich auf, wie schwach die Motivation der nationalen Repräsentanten ausgeprägt ist, sich mit grundlegenderen Fragen unserer Wirtschaftsordnung zu beschäftigen. Das jeweilige Elektorat drängt sie auch wahrlich nicht dazu. Hierfür scheinen die Kühlschränke noch zu gut gefüllt zu sein.

Systemfragen

Welche Faktoren könnten nun in absehbarer Zukunft die Sprengkraft besitzen, den Fokus während der Deleveraging-Phase nochmals auf eine Reflexion der Systemannahmen eskalieren zu lassen?

Alle anderen kritischen Punkte, wie beispielsweise Government oder Bank Defaults, lassen sich durch bestehende oder im Auf-/Ausbau befindliche Strukturen bei professioneller Umsetzung und intaktem Code of Law abarbeiten, ohne an den Systemannahmen operieren zu müssen. Beispielhaft sei Griechenland genannt, dessen Schuldentragfähigkeit trotz diesjährig erzieltem Primarüberschuss nicht gegeben ist. Deshalb wird es auch zu einem Schuldenschnitt in einer Form kommen, die Deutschland nicht als Schuldenschnitt benennen muss. Wohl wird man sich auf eine Laufzeitverlängerung und einer weiteren Kürzung der Coupons, also der laufenden Zinslast, einigen.

Das Institut für Weltwirtschaft errechnete, dass eine Laufzeitverlängerung auf 50 Jahre einen Barwertverlust für die Kreditgeber zwischen 7,5 und 13,5 Milliarden Euro ergibt, je nach Annahmen über die Entwicklung des Zinsspreads. Viel Geld. No doubt. Aber keine Range, die die europäischen Partner und der IWF nicht darstellen könnten.

Zudem sind die großen Notenbanken in der Zwischenzeit ausreichend eng an die politischen Entscheidungsprozesse herangeführt, sodass sie bei ähnlichen, aus der Great Recession bekannten Situationen ihr nun ausgebautes Repertoire an Interventionsmöglichkeiten (QE, LTRO, et cetera) wieder zum Einsatz bringen werden. Sie nahmen die Rolle an, nun müssen sie liefern. Gehen wir auf die beiden Faktoren näher ein.

Inequality

Die Sprengkraft ist gegeben, weil im Zuge des Deleveragings das sich Öffnen der Arm-Reich Schere sogar noch beschleunigte. Sowohl die durch Notenbank-Interventionen direkt, wie indirekt ausgelöste Asset Price Inflation (siehe neue Höchststände an den Aktienmärkten), als auch die finanzielle Repression tragen dazu bei.

Erstaunlich nun, welch geringe Rolle die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland und Österreich im Laufe der Nationalratswahlkämpfe eingenommen hat. Zwar spielen SPD, SPÖ und Grüne das Thema in ihren Parteiprogrammen. Doch sind die genannten Maßnahmen wie Anhebung des Spitzensteuersatzes (SPD) oder Einführung einer Vermögenssteuer light (SPÖ) zu kurz gegriffen, um den seit 2008 sich in seiner Dynamik nochmals verschärfenden Trend in Richtung historische Normalität umkehren zu können.

Persönliche Note. Als liberaler Agnostiker schätze ich Freiheit, Eigenverantwortung und Marktprinzip. Zugleich erschließen sich mir die Vorteile der Vergemeinschaftung von großen Lebensrisiken. Dieses Gleichgewicht einer sozialen Marktwirtschaft, eingebettet in eine demokratische Grundordnung, ist diffizil zu halten und dementsprechend fragil. Mein persönlicher Exkurs soll zeigen, dass mein Hinweis auf die Sprengkraft von Inequality keine Frage einer politischen Ausrichtung ist, sondern Ausdruck meiner Sorge über einen großen blinden Fleck in unseren Gesellschaften.

Selbst der IWF wacht langsam auf. Der Fonds ist als eindeutig wirtschaftsliberal in seiner Ausrichtung bekannt. Deshalb kommt seine Studie von Mitte Oktober einer kleinen Revolution gleich. Die Botschaft lautet: „Besteuert die Reichen!". Im Original: „In many countries it might indeed be possible to raise more from those with the highest incomes." Abschließend stellt der IWF fest, dass die gegenwärtigen Steuersysteme der entwickelten Volkswirtschaften die Reichen mehr schont als früher.

Oil Fraud Phenomenon

Noch einen letzten Punkt zu Inequality. Die Frage bleibt, weshalb das Elektorat keinen ausreichenden Druck erzeugt. Meine Erklärung ist im „Oil Fraud Phenomenon" zu finden.

Darunter versteht man die Schwierigkeit, langsame, graduell ablaufende Veränderungen wahrzunehmen. Selbst deren ultimative Wirkung ist demnach schwierig auszumachen. Inequality und finanzielle Repression entsprechen diesem Phänomen. Das Ergebnis dieses schleichenden Prozesses der steigenden Einkommens- und Vermögensverteilung ist eine sinkende soziale Mobilität, also einer steigenden Undurchlässigkeit sozialer Schichten. Diese mündet in einer Situation, in der nicht Fertigkeiten, sondern Netzwerke den Weg nach oben ermöglichen. So wandelt sich eine meritokratische Plutokratie zu einer nepotistischen Plutokratie. Keineswegs erstrebenswert und trotzdem bereits heute beobachtbar.

Marktversagen durch Spionage

Die Sprengkraft ist gegeben, weil Wettbewerbsvorteile nicht durch Marktkräfte, sondern durch Insider-Informationen im großen Stil verschoben werden. Hier wird der originäre Gedanke eines freien Marktes ad absurdum geführt.

Wolfgang Matejka griff Mitte Oktober in einem Fondsexklusiv Interview („Achtung, Feind liest mit") NSA Implikationen für den Finanzmarkt auf. Erfreulich, dass ich nicht der einzige Marktteilnehmer in D-A-CH bin, der sich öffentlich über negative Markt-Implikationen des NSA/GCHQ Skandals Gedanken macht. Hier möchte ich heute herausstreichen, wie anfällig Fundamentalanalyse und technische Analyse grundsätzlich für Marktmanipulationen sind. Wir wissen heute, dass zumindest NSA und GCHQ Markt-sensible-Daten abfangen. Wir wissen aber nicht, in welcher Form sie diese verwenden. Wir können folglich die Dimension nicht einschätzen.

Fundamentalanalyse

Eine auf Fundamentaldaten basierende Marktanalyse lebt davon, Risikofaktoren approximativ einschätzen zu können. In diesem Fall fehlt diese Möglichkeit zur Gänze, obwohl potenziell Kursbeeinflussend = Chance eines signifikant großen blinden Flecks.

Technische Analyse

Eine auf Charttechnik basierende Marktanalyse ist auf Muster als Signal-gebende Quellen angewiesen. Sollten diese Muster manipuliert sein, unterstützt der Chartist den Manipulator trendverstärkend in seiner Arbeit. Dies muss zumindest Performanceseitig für den Chartisten kein Problem sein. Das folgende aber schon: wenn sich technische Muster verschieben, müssen Algorithmen/Signalpunkte angepasst werden. Ein Algorithmus lebt von seinen Inputan-nahmen. Der Chartist kann den Einflussfaktor „NSA" aber nicht in einen Input-Annahmen abbilden, weil hierzu die Info vollständig fehlt = auch hier ist also die Chance eines signifikant großen blinden Flecks gegeben.

Conclusio

Inequality und Marktversagen durch Spionage besitzen die Sprengkraft in absehbarer Zukunft den Fokus während der Deleveraging-Phase nochmals auf eine Reflexion der Systemannahmen eskalieren zu lassen.

Es bleibt viel zu tun.

www.panthera.mc