Ohne Vermögenssteuer geht es nicht: Warum sie kommen wird, ob die Regierung es will oder nicht
24.03.2022
Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt von Eyb & Wallwitz / Foto: © Eyb & Wallwitz
Im Interview mit finanzwelt erklärt Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Eyb & Wallwitz, warum er mit einer Vermögensbesteuerung rechnet. Der promovierte Volkswirt und Kapitalmarktexperte wurde für seine Analysen bereits mehrfach ausgezeichnet, 2019 sagte er als Sachverständiger vor dem Bundesverfassungsgericht zum QE-Programm der EZB aus.
finanzwelt: Riesige Investitionsbedarfe, minimale Finanzierungsmöglichkeiten – der deutsche Haushalt stellt viele Ökonomen vor große Rätsel. Wie beobachten Sie als Chefvolkswirt von Eyb & Wallwitz die Debatte? Dr. Johannes Mayr: „Für Ökonomen und Investoren ist die Haushaltsdebatte aus zwei Richtungen interessant. Auf der wirtschaftlichen Seite sind staatliche Investitionen Katalysatoren zur Stimulierung privater Investitionen und damit der Konjunktur. Dazu kommt ihre Bedeutung als Impulsgeber in den großen Transformationsprojekten, wie der Energie- und Klimapolitik und der Digitalisierung. Auf der Finanzierungsseite implizieren die notwendigen Ausgaben eine Herausforderung für den Staatshaushalt, potenziell mit Aufwärtsdruck auf die Renditen und weitreichenden Folgen für die Bewertung vieler Asset-Klassen.“
finanzwelt: In Deutschland halten viele Politiker am Credo der Schuldenbremse fest. Dabei verweisen sie gerne auf die Stabilität der Finanzmärkte. Warum? Mayr: „Stabile Staatsfinanzen und stabile Finanzmärkte sind zwei Seiten einer Medaille. Stabile Staatsfinanzen signalisieren nationalen wie internationalen Investoren eine grundlegende Stärke der Wirtschaft, eine verlässliche Steuerbasis und damit eine hohe Rückzahlungswahrscheinlichkeit. Über günstige Finanzierungskonditionen profitieren davon auch private Unternehmen und Haushalte. Eine Überschuldung von Staaten birgt dagegen das Risiko einer Verschlechterung der Finanzierungskonditionen auch für die Privatwirtschaft und von abrupten Korrekturen der Bewertungen am Finanzmarkt. Aber gleichzeitig müssen Zukunftsinvestitionen von Staat und Wirtschaft in ausreichendem Maße getätigt werden.“
finanzwelt: Die Privatinvestitionen in die Realwirtschaft verweilen auf niedrigem Niveau. Muss der Staat da nicht mit Krediten einspringen? Mayr: „Im Vergleich zum Markt ist die öffentliche Hand nicht besonders gut darin, zukunftsträchtige Investitionen zu erkennen und das entsprechende unternehmerische Risiko einzugehen. Dennoch liegen die Argumente für ein stärkeres Engagement des Staates bei Investitionen in Deutschland auf der Hand. Denn die staatliche Investitionsquote liegt – trotz eines leichten Anstiegs in den vergangenen Jahren – mit 2,6% am BIP auf sehr niedrigem Niveau und ist gerade ausreichend hoch, den bestehenden staatlichen Kapitalstock in Stand zu halten. Ihr Rückgang auf unter 2% in der Zeit vor der Finanzkrise wird nach wie vor als ein Grund für das geringe Wachstumstempo der vergangenen Jahre gesehen.“
finanzwelt: Welche anderen Maßnahmen der Mittelbeschaffung als Schulden gibt es im Staatshaushalt noch? Mayr: „Auf der Ausgabenseite können Subventionen gestrichen und Mittel reallokiert werden. Der gesellschaftliche Widerstand ist aber hoch. Naheliegend ist deshalb eine Erhöhung der Einnahmen, also der Steuern. Das klingt aber einfacher als es ist. Denn in der Praxis können höhere Steuersätze auch zu einem Abbröckeln der Besteuerungsgrundlage führen, dem so genannten Laffer-Effekt. Häufig wird zudem ein negativer Effekt höherer Steuersätze auf das Wachstumspotenzial und damit künftige Steuereinnahmen unterstellt. Der Staat muss also stets eine Abwägung vornehmen, welche Art und Höhe von Steuern sich für die Generierung von Mehreinnahmen kurzfristig am besten eignen und mittelfristig den geringsten Schaden verursachen. Aufgrund der Spreizung der Vermögensentwicklung geht der Blick wieder verstärkt in Richtung Substanzbesteuerung. Neben der Grund- und der Erbschaftssteuer rückt dabei auch die Vermögenssteuer in den Blick.“
finanzwelt: Im Koalitionsvertrag gab es zur Vermögensbesteuerung allerdings keine Vereinbarungen. Warum glauben Sie dennoch, dass sie kommt? Mayr: „Die Ampel-Koalitionäre haben in den Sondierungen vereinbart, ‚ keine neuen Substanzsteuern einzuführen‘. Seitdem hat sich der finanzielle Druck allerdings weiter erhöht. Die Investitionsvorhaben der öffentlichen Hand sind gewaltig. Die notwendigen Ausgaben für die Finanzierung der Energiewende, für die Digitalisierung der Verwaltung und die Modernisierung der Infrastruktur und die zahlreichen Vorhaben im Bereich der Sozialausgaben übersteigen das derzeitige Steueraufkommen bereits deutlich. Anpassungen auf der Ausgabenseite wie auf der Einnahmenseite sind deshalb unausweichlich. Da die Koalition eine Erhöhung von Ertrags- und Mehrwertsteuern ausgeschlossen hat, könnte der Blick dann doch rasch auf Optionen im Bereich der Substanzsteuern und damit der Vermögen gehen.“
finanzwelt: Welche Optionen gibt es für eine Vermögensbesteuerung? Mayr: „Ein internationaler Vergleich zeigt, dass Deutschland im Bereich der Substanzsteuern relativ geringe Einnahmen erzielt. So liegt das Aufkommen mit etwa 1 % am BIP um die Hälfte unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Eine moderate Anhebung wäre aus ökonomischer Sicht deshalb vertretbar und sinnvoll. Als mögliche Kandidaten sind die Grundsteuer sowie die Erbschafts- und Schenkungssteuer zu nennen – derzeit mit einem Aufkommen von jeweils rund 0,4 % am BIP.
Gegenüber einer Vermögenssteuer gelten sie als deutlich wirksamer, da die Ausweichmöglichkeiten und negativen Wachstumseffekte geringer sind. International dominiert die Grundsteuer als Steuer auf unbewegliches Vermögen deshalb klar. Eine Anhebung der Grundsteuer oder der Erbschaftssteuer scheint naheliegend und würde auch nicht direkt den Vereinbarungen der Ampel-Koalitionäre widersprechen. Die Wiedereinführung einer laufenden Vermögenssteuer ist dagegen unwahrscheinlich. Zu hoch sind die rechtlichen Hürden und die Komplexitäten und Kosten bei der Berechnung. Darüber hinaus wäre sie auch politisch schwerer durchzusetzen.“
finanzwelt: Die Haushaltsdebatten laufen bereits seit der Wahl, dürften mit Blick auf den Ukraine-Krieg allerdings nochmal eine völlig neue Wendung bekommen. Was bedeutet die Krise für die Finanzen? Mayr: „Der Krieg hat das Potenzial den Haushalt kurz- und mittelfristig weiter zu belasten. Angesichts der stark gestiegenen Energiekosten ist der Druck auf die Politik hoch, kurzfristig Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Mit dieser neuen Realität werden – neben der Frage der Steuereinnahmen – auch andere Haushaltsaspekte frühzeitig wieder ein Thema, wie etwa die Rente. Es gilt: Große Reformen werden in Krisenzeiten angeschoben.“ (fw)