Mehr Respekt und Wertschätzung bitte!

16.01.2023

Barbara Liebermeister ist Managementberaterin und Leiterin des Institutes für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ). Sie betont die Wichtigkeit von Wertschätzung am Arbeitsplatz - Foto:  © IFIDZ

In vielen Betrieben ist der Umgangston – krisenbedingt – rauer geworden. Das wirkt sich negativ auf die Motivation ihrer Mitarbeiter und deren Leistung aus.

Wenn Unternehmen unter einem hohen Druck stehen, zum Beispiel weil die Umsätze wegbrechen, ist von einem wertschätzenden Umgang mit ihren Mitarbeitern oft nur noch wenig zu spüren. Dann werden im alltäglichen Miteinander nicht selten sogar die einfachsten Benimm-Regeln vergessen.

Da geht zum Beispiel ein altgedienter Mitarbeiter in den Ruhestand, ohne dass zuvor mal ein Vorgesetzter vorbei schaute, ihm die Hand schüttelte und ein Wort des Dankes sagte. Da wird eine hochqualifizierte und -engagierte Fachkraft, die in einem Meeting sachliche Bedenken gegen die Planungen ihres Vorgesetzten äußert, von diesem vor versammelter Mannschaft angeraunzt: „Wollen oder können Sie nicht? In beiden Fällen sind Sie hier fehl am Platz.“ Da erhält eine Controllerin von ihrem Chef, der im Nachbarbüro sitzt, zehn Minuten vor Feierabend per Mail die Anweisung, sie müsse bis zum nächsten Morgen eine Präsentation vorbereiten, obwohl dieser weiß: Sie muss ihr Kind vom Hort abholen.

Der Umgangston ist rauer geworden

Als Trainer hört man in Seminaren von den Teilnehmern oft: „Das Klima in unserem Betrieb hat sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie verschlechtert. Der Umgangston wird immer rauer.“ Das fängt bei den mittleren Führungskräften an. Sie sind um ihre „Sandwich-Position“ als Mittler zwischen den „Chefs“ ganz oben und den „Werkern“ unten nicht zu beneiden. Denn sie bekommen die operative Hektik, die in den Chefetagen vieler Unternehmen herrscht, meist unmittelbar zu spüren. Und weil sie selbst unter einem enormen Druck stehen, geben sie ihn nicht selten ungefiltert an ihre Untergebenen weiter.

Schon lange gibt es in den meisten (Groß-) Unternehmen nicht mehr ein Zusammengehörigkeitsgefühl, wie es sich früher in solchen Begriffen wie die Siemens- oder Bosch-Familie artikulierte. Und in welchen Betrieben nennen sich die Mitarbeiter noch stolz zum Beispiel „Opelaner“? Nur in ganz wenigen Unternehmen ist dies noch der Fall! In viel mehr Unternehmen regiert heute – obwohl eine bereichs- und funktionsübergreifende Team- und Projektarbeit propagiert wird – das Einzelkämpfertum. Jeder ist, so erscheint es oft, primär mit dem eigenen Überleben beschäftigt.

Mitarbeiter mutieren zu Human-Kapital

Das ist schade, doch teilweise verständlich, denn: Durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg und deren Folgen (wie Energiekrise, Inflation usw.)

  • ist der Veränderungs- und Handlungsdruck in vielen Unternehmen enorm gestiegen und
  • arbeiten weite Teile ihrer Belegschaft – zumindest psychisch – seit fast drei Jahren an ihrer Belastungsgrenze.

Oder anders formuliert: In vielen Unternehmen ist der Druck im „Kessel“ aktuell so hoch, dass das Betriebsklima immer rauer wird. Zugleich wird aber vom Management weiterhin betont: „Wir brauchen intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen identifizieren und sich eigeninitiativ für das Erreichen von dessen Zielen engagieren.“ Doch woher sollen diese kommen, wenn sich bei den Mitarbeitern zunehmend das Gefühl verdichtet: „Wir werden nur noch als Human-Kapital gesehen, das je nach Bedarf mal gehätschelt und mal getreten oder mal auf- und abgebaut wird.“ Dann gehen sie sozusagen automatisch auf Distanz zum Unternehmen. Das heißt auch, ihre Arbeitsmotivation und Leistung sinkt.

Mitarbeiter müssen Wertschätzung spüren

Nicht oft genug kann deshalb betont werden: Wird in den offiziellen Verlautbarungen eines Unternehmens immer wieder ein partnerschaftlicher, von wechselseitigem Respekt geprägter Umgang miteinander propagiert, dann müssen die Mitarbeiter diesen im Betriebsalltag spüren. Dann ist es schlicht ein No-go, dass ein altgedienter Mitarbeiter ohne ein Wort des Dankes in den Ruhestand entlassen wird. Denn dann denken alle verbleibenden Mitarbeiter: „Dieses Schicksal droht mir auch einmal.“ Dann ist ebenfalls ein No-go, dass eine Führungskraft eine Fachkraft, die sachlich begründete Einwände artikuliert, vor versammelter Mannschaft maßregelt. Denn dann denken alle Anwesenden: „Ich halte künftig besser meinen Mund." Und dann ist es auch ein No-go, dass eine Führungskraft, wenn sie von einem Mitarbeiter Mehrarbeit erwartet, ihm dies nicht persönlich mitteilt. Denn sonst denken alle Mitarbeiter, die davon erfahren: „Meine bzw. unsere persönlichen Interessen und Ziele interessieren hier niemand. Warum soll ich mich dann für das Unternehmen – mehr als es mir nutzt – engagieren?“

Entsprechend reagieren die Mitarbeiter, wenn ihre Führungskraft, weil sie etwas möchte, plötzlich an das Wir appelliert. „Wir sollten …“, „Wir wollen…“, „Wir müssen …“ Dann sagen zwar alle mit den Lippen ja, und täuschen das gewünschte Engagement vor, doch faktisch denken sie: „Und was habe ich davon? Die können mich mal.“

Auf die scheinbaren Kleinigkeiten achten

Denken Sie deshalb als Führungskraft bei Ihrer Führungsarbeit daran: Wie viel Respekt und Wertschätzung Sie Ihren Mitarbeitern entgegen bringen, zeigt sich für diese in vielen (scheinbaren) Kleinigkeiten – zum Beispiel darin,

  • wieviel Zeit Sie sich für Ihre Mitarbeiter nehmen und wie aufmerksam Sie ihnen zuhören,
  • wie kompromissbereit Sie bei Interessengegensätzen sind,
  • wie Sie auf Versäumnisse und Fehler von ihnen reagieren,
  • und, und, und….

Ansonsten ist die Gefahr groß, dass Sie irgendwann nur noch von Opportunisten umgeben sind, die Engagement für die Bereichs- und Unternehmensziele zwar heucheln, aber nicht zeigen.

Gastbeitrag von Barbara Liebermeister, Managementberaterin und Leiterin des Institutes für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt