LV: Risikopuffer verschlechtert sich
12.04.2021
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Im vergangenen Jahr sind die Solvenzquoten der deutschen Lebensversicherer zurückgegangen. Zugleich stieg auch die Zahl der Unternehmen, die vor größeren Herausforderungen stehen. Bei manchen könnte sogar die künftige Geschäftsentwicklung behördlich gehemmt werden.
Im Jahr 2020 wiesen Deutschlands Lebensversicherer eine aufsichtsrelevante Solvenzquote von 390 % auf, ein Rückgang um 38 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahreswert. Das geht aus einer Untersuchung von Policen Direkt hervor. Diese zeigt auch, dass die Nettoquote plus Volatilitätsanpassungen um 45 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen ist, um denselben Wert ist auch die Nettoquote gesunken, die im vergangenen Jahr bei 211 % lag. Die Mindestquote (MCR-Quote) netto sank um 149 Prozentpunkte auf 567 %. Deutlich gestiegen ist hingegen die Zahl der Versicherer deren Nettoquote plus Volatilitätsanpassungen weniger als 100 % beträgt: Nachdem im Jahr 2019 noch neun Versicherer eine solche niedrige Zahl aufweisen, waren es 2020 bereits 15. Bei 17 Versicherern liegt die Nettoquote unter 100 %, vier mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Versicherer mit MCR-Netto von weniger als 100 % ist um sechs auf 13 gestiegen. Von den untersuchten Versicherern haben sich 67 bei der relevanten Nettoquote plus Volatilitätsanpassungen im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert, 15 konnten ihre Werte diesbezüglich verbessern. Trotz der allgemeinen Verschlechterung der finanziellen Situation ist die Zahl der Versicherer, die bei der BaFin-Übergangsmaßnahmen beantragt haben, nahezu gleichgeblieben: Nachdem es im Vorjahr noch 58 waren, stellten 2020 60 einen solchen Antrag. Deutlicher gestiegen ist hingegen die Anzahl der Versicherer, die bei der Finanzdienstleistungsaufsicht Volatilitätsanpassungen beantragt haben: Mit 67 waren es 2020 acht mehr als im Vorjahr. Im Schnitt haben Übergangsmaßnahmen die Quoten um 156 Prozentpunkte verbessert, im Vorjahr lag die Verbesserung noch bei 148 Prozentpunkten. Die Probleme der Lebensversicherer schlagen sich auch in der Zahl der Unternehmen nieder, die sich in „enger Manndeckung“ der BaFin befinden: Nachdem dies im Vorjahr noch 13 Lebensversicherer betraf, waren es 2020 17.
„COVID-19 fordert Lebensversicherer auch in ihrer Finanzstabilität. Das erste Krisenjahr hat die Risikopuffer der Gesellschaften deutlich belastet“, so Henning Kühl, Leitender Aktuar von Policen Direkt und Versicherungsmathematiker (DAV) mit Blick auf die aktuellen Solvenzquoten. "Vor allem das weiter gesunkene Zinsniveau hat zu einer Erhöhung der Kapitalanforderungen oder zu einem Rückgang bei den anrechnungsfähigen Eigenmitteln geführt. Das hat Auswirkungen auf die Solvenzquoten."
Bald keine Lizenz zum Neugeschäft?
Vor allem kleinere Versicherer mit hohem Garantiebestand und Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit nur mit Übergangsmaßnahmen eine Solvenzquote von über 100 % erreicht haben, stehen nun vor größeren Herausforderungen. Aus der Korridor-Analyse geht hervor, dass es hier mitunter darum geht, überhaupt noch Neugeschäft zeichnen zu können. Jüngst hatte hier BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund darauf hingewiesen, dass Versicherer in den nächsten Jahren großen Schwierigkeiten bekommen könnten und damit ihre Lizenz für das Neugeschäft riskieren.
Vor großen Herausforderungen stehen die 22 Versicherer, deren Solvenzquote ohne Bilanzierungshilfe unter 150 % liegt. Im Vorjahr wiesen noch 19 Versicherer einen solchen Wert auf. Hier geht es um bestehende Garantieanforderungen und darum, sich in Zukunft überhaupt noch Neugeschäft leisten zu können.
Als „weitgehend gerüstet“ sieht Policen Direkt die 39 Versicherer, die eine Nettoquote plus Volatilitätsanpassungen zwischen 150 und 300 % haben. Laut Henning Kühl ist bei diesen die finanzielle Stabilität weitreichend gewährleistet und sie sind gut gerüstet für Extremszenarien. Deshalb sind sie auch in der Lage, den eingegangenen Versprechen auch in Zukunft nachzukommen. Die Anzahl dieser Unternehmen hat sich im Vergleich zum Vorjahr um zehn verringert.
Einen großen Risikopuffer wird den 21 Unternehmen bescheinigt, die eine Nettoquote plus Volatilitätsanpassungen von mehr als 300 % aufweisen. Gegenüber dem Vorjahr ist die Anzahl dieser Anbieter um 15 zurückgegangen. Dank ihrer komfortablen Solvenzkapitalausstattung sind sie für weitere Verschärfungen der Lage sehr gut gewappnet und können im Neugeschäft weitreichende Zusagen geben. (ahu)