Luft nach oben
22.07.2014
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Biometrie ist nicht nur Pflege und BU – diese Erkenntnis setzt sich langsam im Vermittlermarkt durch. Von vermeintlicher Marktsättigung sollte sich niemand abschrecken lassen, denn der tatsächliche Bedarf ist gigantisch. Doch auch abseits dieser zentralen Themen wartet viel Neugeschäft.
Gespräche über biometrische Absicherungen drehen sich in aller Regel um Berufsunfähigkeits- oder Pflegefallpolicen. Doch letztlich geht es hier um alle lebensbedingten Risiken. Dazu gehört der Unfalltod genauso wie Pflegebedürftigkeit und Berufsunfähigkeit, Kinderinvalidität und schwere Erkrankungen, früher Tod und langes Leben.
Erst der Niedergang der Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung hat das Thema Biometrie zum Mittelpunkt von Makler-Messen und Roadshows – und von Produkt-Neuentwicklungen – gemacht. Als die Branche vor Jahren mit immer neuen Garantiekonzepten in der fondsgebundenen Rentenversicherung gleichsam eine Welle auslöste, fiel das eher befremdliche Wort vom Risiko der Langlebigkeit nicht mal am Rande. Stattdessen ging es nur um das Verhältnis von Kapitalerhalt und Renditechancen. Gleichzeitig erfand sich die Dialog Lebensversicherung neu. Deren Vorstandssprecher Rüdiger R. Burchardi positionierte das Unternehmen als Spezialisten für die Absicherung biometrischer Risiken. Dass neuerdings aber nahezu alle Lebensversicherer in diesem Marktbereich Akzente setzen, macht dem Augsburger Versicherer das Leben nicht unbedingt leichter. Doch Burchardi ist nach wie vor guter Dinge: „Wettbewerb belebt das Geschäft. Als reinrassiger Maklerversicherer wissen wir, was unsere Partner brauchen. Dank top-bewerteter Produkte und eines exzellenten Services sind wir unangefochten die Nummer 1 im Maklermarkt."
Dass viele Makler sich aber mit der Absicherung von Lebensrisiken schwertun, ist ein offenes Geheimnis. Zum Abschluss von Pflegeversicherungen beispielsweise müssen die Bundesbürger buchstäblich getragen werden. Obwohl das Problem der Unterfinanzierung im Pflegefall mittlerweile bekannt sein sollte, antwortete in einer Biometriestudie von Gothaer und F.A.Z.-Institut jeder zweite Befragte im Alter zwischen 30 und 44 Jahren, sich mit Vorsorgemaßnahmen bislang nicht im Ansatz befasst zu haben. Entsprechend flau zeigt sich der Bestand an privaten Pflegezusatzpolicen. 2,7 Mio. Verträge weist die Branchenstatistik aus, darin enthalten ist allerdings der Anteil des staatlich geförderten Pflege-Bahr, der munter auf die Millionengrenze zumarschiert. Ähnlich das Bild bei der Absicherung des Berufsunfähigkeitsrisikos: Zwar haben 46 % der Befragten Angst vor einer BU, doch Konsequenzen daraus ziehen die wenigsten. Rund ein Viertel der erwerbstätigen Bundesbürger ist überhaupt nicht privat abgesichert, beim Gros der verbleibenden 75 % liegt die versicherte BU-Rente deutlich unter dem tatsächlichen Bedarf – wenn nicht gar nur eine Beitragsbefreiung im Hauptvertrag vereinbart wurde. Schlimmer noch: Viele Beobachter halten den BU-Markt für weitgehend ausgereizt. Dabei kann er das angesichts einer eklatanten Nicht- oder Unterversicherung eigentlich nicht sein. Vielleicht müssen nur innovative Konzepte her. Der VOLKSWOHL BUND hat kürzlich eine Weiterentwicklung seiner temporären BU-Absicherung auf den Markt gebracht. Christian Schröder, Marketingleiter des Versicherers, erläutert: „Wir haben früh erkannt, dass es auch Alternativen zur BU geben muss und bereits 2007 eine Beratungslösung vorgestellt, die unter anderem aus einer temporären BU in Kombination mit einer EU bestand. Jedoch war die Zeit dafür noch nicht reif, dazu war das Produkt relativ komplex angelegt. Anfang 2014 haben wir dann unsere Einkommensvorsorge €XISTENZ vorgestellt – ein einfaches, transparentes Produkt, das den Absicherungsbedarf insbesondere für körperlich Tätige abdeckt, indem es 14 klar definierte Grundfähigkeiten versichert und genau dann leistet, ohne dass eine Berufsunfähigkeit attestiert sein muss."
Womit das Stichwort auf dem Tisch wäre. Angesichts einer teils gigantischen Beitragsspreizung zwischen einzelnen Berufsgruppen mit niedrigen Prämien für besonders gern gesehene Risiken und kaum mehr bezahlbaren Beiträgen für andere stellen immer mehr Marktteilnehmer selbst die Frage, ob es denn unbedingt eine BU sein muss. Oder ob die Absicherung von Grundfähigkeiten, Erwerbsunfähigkeit oder schweren Krankheiten mitunter vielleicht die bessere Alternative wäre. Noch haben sich diese Modelle zumindest im breiten Markt nicht nachhaltig durchsetzen können, doch langsam scheint auch bei Maklern ein Umdenken einzusetzen. Immerhin, wenn mit Canada Life ein schon traditionell vehementer Verfechter solcher Produkte plötzlich die BU-Absicherung ins Produktportfolio aufnimmt, besteht Anlass für Vermittler, auch weiterhin auf festes Geschäft in diesem Bereich zu setzen. Und Günther Soboll, Hauptbevollmächtigter Canada Life Deutschland, hat den Vertriebsstart vor einigen Wochen offenbar klug gewählt: „Wir sind mit dem Verkaufsstart unseres BU-Schutzes sehr zufrieden. Der garantierte Zahlbeitrag ein ganzes Berufsleben lang ist ein herausragendes Merkmal, was im Markt überaus positiv aufgenommen wird."
Für Makler erledigt sich damit auch eine mögliche Haftungsfalle. Angesichts der niedrigen Zinsen könnten Kunden möglicherweise Regressforderungen stellen, wenn der allseits beworbene Zahlbeitrag unerwartet auf den Bruttobeitrag angehoben wird. Ob sich die mit dem LVRG beschlossene Neuverteilung von Risikogewinnen auch bei reinen Risikoversicherungen auswirken wird, steht dahin. Jedenfalls weiß Jacques Wasserfall, Leiter Aktuariat Leben bei ZURICH, dass sich vorerst nichts ändern wird: „Durch die heraufgesetzte Beteiligung am Risikoergebnis wird die Mindestbeteiligung der Versicherungsnehmer am Überschuss heraufgesetzt. Die tatsächliche Beteiligung liegt aktuell schon höher. Durch die Anhebung des Minimums ändert sich die Situation für den Versicherer kurzfristig nicht." Dass es aber auch Vertriebschancen abseits der zentralen Themen BU und Pflege gibt, zeigt das Beispiel InterRisk, wie Vorstand Dietmar Willwert zu verstehen gibt: „Wir verzeichnen nach wie vor großes Interesse von jungen Familien an umfassendem Versicherungsschutz für Kinder und Jugendliche zur Absicherung bleibender Schäden infolge eines Unfalls." Man muss diese Chancen nur nutzen. (hwt)