Landtagswahlen sind Desaster für Bundespolitik
02.09.2024
Michael Holstein. Foto: DZ Bank
Das Wahlergebnis in Sachsen und Thüringen demonstriert die Unzufriedenheit vieler Bürger mit der aktuellen Politik. Im Fokus der Wahlen standen die Themen Migration und Flüchtlinge, NATO- und EU-Mitgliedschaft sowie die Energiepolitik, obwohl Landesregierungen darauf keinen nennenswerten Einfluss haben.
Somit ist der 1. September zu einer Art Referendum über die Bundespolitik geworden, was vor allem die populistischen Parteien auf der linken und rechten Seite für sich genutzt haben. Ein verheerendes Signal – vor allem auch international – ist der AfD-Wahlsieg in Thüringen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird eine rechtsradikale Partei stärkste Kraft auf Landesebene. Ohne die AfD kann die CDU in Thüringen nur mit Linken und dem BSW regieren.
Eine solche Koalition hätte aber noch weniger programmatische Übereinstimmungen als die Ampel in Berlin. Beschlüsse, die das Land voranbringen könnten, sind da nicht zu erwarten. Für die Finanzmärkte haben die Ergebnisse trotzdem zumindest auf kurze Sicht kaum Auswirkungen: Den Landesregierungen ist der finanzpolitische Spielraum durch die Schuldenbremse stark beschnitten und die Beistandspflicht des Bundes hat Verfassungsrang. Bedeutender sind die mittel- und längerfristigen Signale, die von den beiden Landtagswahlen ausgehen: Investoren werden einen Bogen um Länder mit populistischen und tendenziell wirtschaftsfeindlichen Regierungen machen. Produktive Arbeitskräfte werden abwandern, Zuwanderung wird kaum noch stattfinden. Allein in Thüringen sinkt die Einwohnerzahl laut dem Landesamt für Statistik bis 2042 um neun Prozent. Es droht ein weiterer Rückgang der Wirtschaftskraft und des Wachstumspotentials.
Umso wichtiger ist deshalb, dass wirtschaftspolitische Reformen endlich an Fahrt aufnehmen und eine Agenda 2030 für die Wirtschaft formuliert wird. Die Ampel sollte sich um die drängendsten Probleme kümmern. Hierzu gehört eine Senkung der Unternehmenssteuern und ein grundlegender Bürokratieabbau. Zudem dürfen möglichst hohe Sozialleistungen mit geringen Anreizen zur Arbeitsaufnahme nicht im Fokus stehen. Ob die Ampel zu einem großen Ruck noch in der Lage ist, darf aufgrund ihrer grundsätzlichen Differenzen jedoch bezweifelt werden.
Gastbeitrag von Dr. Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ BANK.