Krise, Kollaps oder neue Normalität?

30.10.2023

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2023 ist anders. Wenn man so will, voller Überraschungen. Auf der einen Seite des Atlantiks ist das Szenario einer „Soft Landing“ in greifbare Nähe gerückt. In Europa und speziell hierzulande ist die Aussicht verhalten bis wolkenverhangen. Rückenwind aus Asien, der weltweit zu spüren wäre – Fehlanzeige. Die chinesische Wirtschaft schwächelt weiter; Negativmeldungen wie beispielsweise aus dem Immobiliensektor häufen sich. Natürlich sollten wir Peking nicht abschreiben. Doch es läuft nicht mehr wie geschmiert. Die chinesische Führung muss entschlossener handeln.

Die Blicke der Welt richten sich in diesen Tagen verstärkt auf das Reich der Mitte. Die Gründe liegen auf der Hand. China als globaler Wirtschaftsmotor lieferte über Jahre hinweg erstklassige (zweistellige) Wachstumszahlen. Eine Geschichte wie aus dem Bilderbuch. Mit der strikten Corona-Politik trat eine Zäsur ein. Nicht dass die Pandemie der Hauptgrund für die schwache Performance der chinesischen Wirtschaft wäre. Doch die Probleme nahmen zu und ließen sich eben nicht länger leugnen.

Auch 2023 Sand im Getriebe

So ist das Bruttoinlandsprodukt im 1. Halbjahr im Vorjahresvergleich um 6,3 % gestiegen. Die Prognose hatte bei 7,3 % gelegen. Im Vergleich zum 1. Quartal des laufenden Jahres legte das Wachstum lediglich um 0,8 % zu. 2022 war schwach; die chinesische Börse entwickelte sich im Vergleich zu anderen Leitbörsen unterdurchschnittlich. Die Hoffnung ruhte auf 2023 – dem Jahr des Hasen. Doch von einem erstaunlichen Comeback ist wenig zu spüren. „Und trotz der Verbesserung nach der Wiedereröffnung bleiben die chinesischen Verbraucher vorsichtig und wählerisch. Die Verkäufe von hochpreisigen Artikeln haben sich nicht wirklich belebt. Es gibt keine ‚Racheausgaben‘ und der diskretionäre Konsum hat sich langsamer entwickelt als erwartet“, sagt Haiyan Li-Labbé, die Co-Managerin des Carmignac Portfolio China New Economy und des Carmignac Portfolio Emergents. Auch Experten aus dem Hause DJE Kapital stimmen in diesen Tenor: „China kommt dagegen nicht in Gang und ist derzeit eher ‚Wachstumsbremse‘ als ‚Wachstumslokomotive‘ der Weltwirtschaft. Es ist keine größere fiskalpolitische Stimulierung in Sicht.“

Es klemmt in der Immobilienbranche

Aktuell haben die Sorgen der Investoren insbesondere mit den Geschehnissen am chinesischen Immobilienmarkt etwas zu tun. Zwei Namen tauchen auf: Evergrande und Country Garden. Evergrande, Chinas zweitgrößter Immobilienkonzern, verhandelt bereits seit Monaten mit ausländischen Gläubigern über eine Restrukturierung seiner Schulden. Eine Einigung über den Plan für eine Umschuldung ist bis dato nicht erreicht. Inzwischen ist auch der Entwickler Country Garden in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Die Country Garden Holdings Aktie hat auf Jahressicht mehr als 60 % an Wert verloren und notiert aktuell bei 0,11 Euro. Nun wird die Aktie aus dem Hang Seng Index gestrichen. Einzelfälle? Wohl kaum. Die Immobilienbranche gilt als Pekings Achillesferse. Weitere Konzerne könnten folgen.

Yuan-Unterstützung

Peking ist sich der schwierigen Lage durchaus bewusst. Bereits zum zweiten Mal seit Juni hat die chinesische Notenbank den Zins gesenkt. Der Zins für Kredite mit einer einjährigen Laufzeit liegt nun bei 2,5 %. Weitere Konjunkturstimuli wurden im Juli angekündigt. Die schwierige Lage von Chinas Wirtschaft zieht weitere Kreise. Interventionen auf dem Devisenmarkt sind ein erneuter Schritt, um der Lage Herr zu werden. Der Yuan hat 2023 deutlich an Wert verloren. Chinas große staatliche Banken haben US-Dollar verkauft, um Yuan auf den Devisenmärkten im Land und im Ausland zu kaufen und so die Abwertung des Yuans entgegenzuwirken. Sozialer Sprengstoff könnte auch aus der Ecke der steigenden Jugendarbeitslosigkeit kommen. Björn Jesch, Global Chief Investment Officer, DWS, merkt in diesem Kontext an: „Dazu kommt die auch von ausländischen Beobachtern wahrgenommene Kommunikationsschwäche – man denke nur an das abrupte Einstellen der Datenreihe zur hohen Jugendarbeitslosigkeit. Eine Form kommunikativer Schwäche könnte man allerdings auch einigen westlichen Beobachtern vorwerfen, die sich derzeit einzig auf die negativen Aspekte zu konzentrieren scheinen. Die Stärke in einigen Zukunftsbranchen, die Größe des Binnenmarktes, die geringe Verschuldung privater Wohnungsbesitzer, Chinas geringe Auslandsverschuldung sowie der wachsende Dienstleistungssektor seien hier etwa genannt.“ Konzertierte Anstrengungen und schnelle Reaktionen sind zwingend erforderlich. Mit Blick nach vorne heißt das, dass die Regierung in Peking wohl alles daransetzen wird, das große Ziel des „Wohlstands für Alle“ nicht aus dem Auge zu verlieren. Die Probleme sind gravierend, doch nicht unlösbar. Weitere Zinssenkungen dürften den Markt (vorerst) beruhigen. Chinas langfristiges Potenzial bleibt riesig. Gerade auch in den säkularen Wachstumstrends; man denke etwa an die Plattform-Ökonomie oder die Rolle der chinesischen Elektrobauer im internationalen Konzert. Das wird tragen, öffnet Chancen über Jahrzehnte. „Chinas rasche Übernahme neuer Technologien hat zu einem ‚Leapfrogging‘-Effekt geführt und das Land zu einem der am weitesten entwickelten Länder im Bereich der Digitalisierung gemacht. China ist im Bereich der erneuerbaren Technologien weltweit führend“, führt Carmignac-Expertin Li-Labbé an.

Wenn China hüstelt, merken wir es in Europa/Deutschland sofort. Auch das gilt es andererseits zu bedenken. Viele DAX-Konzerne machen satten Umsatz im Reich der Mitte. Insofern haben Anleger immer „einen Teil China“ mit im Depot. China könnte, wenn die Führung sämtliche Probleme nachhaltig in den Griff bekommt, auf dem Pfad eines gesünderen Wachstums sein. Die „neue Normalität“. (ah)