Krieg in der Ukraine – Drei mögliche Szenarien für die Börse

14.03.2022

Karl-Heinrich Mengel, Vorstandsmitglied und Chief Investment Officer der Capitell AG / Foto: © Capitell AG

Die aktuellen Entwicklungen rund um den Ukraine-Krieg werden einschneidende Veränderungen der bisher gewohnten Weltordnung hervorrufen. Der russische Angriffskrieg wird weltweit als geradezu unfassbarerer Tabubruch erlebt: Eine hoch gerüstete Atommacht überfällt ein deutlich schwächeres Nachbarland, ohne von diesem bedroht worden zu sein. Dieses Ereignis wirkt wie ein Katalysator für eine geschlossene westliche Außenpolitik gegenüber Russland. Hintergrund dafür ist ein weitgehender Vertrauensverlust gegenüber den Aussagen der russischen Führung. Dieser Vertrauensverlust wird unseres Erachtens leider auch die weitere Zukunft in der Zusammenarbeit mit dieser Großmacht prägen.

Unter den aktuellen Umständen sehe ich drei mögliche Szenarien, einen besten, einen schlimmsten und einen wahrscheinlichsten Fall.

Im besten Fall …

  • Der Krieg in der Ukraine wird rasch beendet. Es finden Gespräche des Westens mit der russischen Führung statt.
  • Das gestörte Vertrauensverhältnis des Westens zu Russland bleibt aber dennoch bestehen.
  • Rückläufige Energiepreise, allerdings nicht auf das Vor-Kriegs-Niveau fallend, da der Konjunkturaufschwung dies verhindert.
  • Die Inflationsproblematik bleibt bestehen, auch wegen des in diesem Szenario anzunehmenden volkswirtschaftlichen Wachstums.
  • Die FED wird bei ihrem angekündigten, restriktiven Kurs bleiben und eine konsequente Straffung der Geldpolitik vornehmen. Es werden die bereits erwarteten sechs Zinsschritte erfolgen.
  • Darüber hinaus wird dem Kapitalmarkt Liquidität in der Größenordnung von bis zu 90 Mrd. pro Monat entzogen, indem die FED-Bilanz zügig verkürzt wird.

Der schlimmste Fall …

  • Der Krieg in der Ukraine greift auf östliche Nato-Länder über mit dem daraus resultierenden Risiko einer Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO.
  • Es wird eine Weltwirtschaftskrise folgen, deren Dauer unabsehbar ist.
  • Maximal mögliche Generierung von Geldmenge durch Ankauf von Staatsanleihen durch die FED. Im Corona-Jahr 2020 erreichten diese Ankäufe 120 Mrd. US-Dollar pro Monat.

Der wahrscheinlichste Fall …

  • Das wirtschaftlich und politisch stark gestörte Verhältnis des Westens zu Russland wird bis auf weiteres und vermutlich sogar die nächsten fünf bis zehn Jahre anhalten.
  • Die Energiepreiskrise wird sich nicht weiter nennenswert zuspitzen, da China den Westen als Abnehmer von Öl und Metallen aus Russland ablösen könnte.
  • Dies gilt jedoch nicht für Gas aufgrund der fehlenden Infrastruktur zwischen Russland und China.
  • Die Märkte hatten zuletzt eine straffe Geldpolitik, insbesondere der FED eingepreist. Die nächste reguläre Sitzung des FED-Offenmarktausschusses findet am 15./16. März statt. Für diesen Termin wird unverändert mit einem ersten Zinsschritt für dieses Jahr gerechnet, zumal der letzte Arbeitsmarktbericht einen anhaltenden Konjunkturaufschwung signalisiert.
  • Insgesamt werden für dieses Jahr sechs Zinsschritte erwartet. Mit Liquiditätsentzug per Abbau des durch die FED gehaltenen Anleihe-Volumens (Verkürzung der FED-Bilanz) wird man noch bis Ende 2022 warten.
  • Die Inflation wird weiter ansteigen und führt zu einer abnehmenden Kaufkraft für breite Gesellschaftskreise. Soziale Spannungen nehmen in Westeuropa zu, auch aufgrund der Inflation für Produkte des täglichen Bedarfs. Wir erwarten für 2022 eine Inflation von fünf bis sechs Prozent für Deutschland und Europa.
  • Mit Blick auf die oben genannten Punkte gehen wir in eine vorübergehende Konjunkturkrise in Westeuropa bzw. Deutschland.

Die Stimmungsindikatoren signalisieren erwartungsgemäß einen hohen Pessimismus. Das entspricht einer guten Markttechnik. Der Fear&Greed-Indikator hat aktuell den niedrigsten Stand seit der Corona-Krise erreicht. Ähnliches gilt für andere Indikatoren wie die Put/Call-Ratio auf den S&P 500. Hierbei ist zu beachten, dass negative Marktstimmung mit guter Markttechnik gleichzusetzen ist, da das Verkaufspotential am Markt gering ist, während hohe Cash-Bestände gehalten werden, die eine Basis stark steigender Kurse bilden.

Kolumne von Vermögensverwalter Karl-Heinrich Mengel, Vorstandsmitglied und Chief Investment Officer der Capitell AG