Kein normaler Zyklus, sondern eine Phase großer Umbrüche
13.01.2025
Felix Herrmann. Foto: @ ARAMEA
Die Robustheit der US-Wirtschaft trotz zuvor invertierter Zinskurve und hoher Zinsen beweist: Wir haben es ganz offensichtlich nicht mit einem normalen Zyklus zu tun, sondern befinden uns vielmehr in einer Phase großer struktureller Umbrüche. Megatrends und nicht Konjunkturzyklen bestimmen in dieser Phase darüber, welche Volkswirtschaft „rund läuft“ und welche zurückfällt.
Die Vereinigten Staaten als Epizentrum des KI-Trends agieren weiter als Motor der Weltwirtschaft. Europa kämpft derweil mit strukturellen Problemen und einer schwächelnden Wachstumsdynamik, weil man dort zumindest aktuell noch nicht von den Megatrends profitieren kann. Es lässt sich kaum mehr leugnen, dass wir längst in einer „Trumpschen Welt“ mit mehr Protektionismus, eigennütziger Industriepolitik und steigenden geopolitischen Spannungen leben. Wahr ist auch: Europa ist bislang der große Verlierer dieser neuen Weltordnung.
Insbesondere die höheren Zölle auf Ausfuhren in die USA würden die Eurozone zur absoluten Unzeit treffen. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass die Drohungen des designierten US-Präsidenten Donald Trump in Richtung der Europäischen Union in Teilen ein erster Aufschlag zu längeren Verhandlungen sein könnten. Letztlich dürfte Trump von einem universellen Zoll von zehn Prozent auf alle Einfuhren absehen, weil dadurch die Inflationsgefahr enorm zunehmen würde.
Geldpolitik: unterschiedliche Herausforderungen in den USA und der Eurozone
Geldpolitisch stehen die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) vor der Aufgabe, den richtigen Kurs inmitten wirtschaftlicher Unsicherheit und geopolitischer Spannungen zu finden. Die Herangehensweisen könnten dabei kaum unterschiedlicher sein. Die Fed ist angesichts höherer hauseigener Inflationsprognosen – Trumps Präsidentschaft wirft ihre Schatten voraus – drauf und dran, das Tempo der Zinssenkungen zeitnah zu drosseln. Die US-Wirtschaft erweist sich weiterhin als äußerst widerstandsfähig. Wir erwarten angesichts der Dominanz beziehungsweise der Expansion der Fiskalpolitik, dass der Leitzins in den USA bis Ende 2025 nur noch ein einziges weiteres Mal gesenkt wird und im Jahresverlauf sogar bereits erste Diskussion über nötige Zinsanhebungen beginnen. Mit einem Niveau von 4,00 bis 4,25 Prozent läge der Leitzins dann Ende 2025 weiterhin im restriktiven Terrain.
Auf dieser Seite des Atlantiks steht die EZB vor ganz anderen Herausforderungen. Die Eurozone kämpft weiterhin mit einem schwachen Wirtschaftswachstum. Obwohl die Kerninflationsrate in der Eurozone mit aktuell 2,7 Prozent immer noch hoch ist, bleiben die Währungshüter wohl gezwungen, die Zinsen weiter zu senken, sehr wahrscheinlich sogar unter die Marke von zwei Prozent.
Renten: länger laufende Anleihen wieder interessanter
Am Rentenmarkt hat die Normalisierung der Zinskurven in den USA und der Eurozone länger laufende Anleihen wieder interessanter gemacht. Angesichts der europäischen Wachstumsschwäche erachten wir lange Laufzeiten in der Eurozone allerdings nun als attraktiver als in den USA, wo die Politik Trumps zunächst eher Aufwärtsdruck auf die Renditen erzeugen könnte.
Fortgesetzte Zinssenkungen seitens der EZB, die im Zweifel eher umfangreicher ausfallen dürften, sollten Bundesanleihen generell gut unterstützt halten, wenngleich Zinssenkungen per se natürlich kein Garant für fallende Zinsen am langen Ende sind. Da die gepreiste Endrate der EZB zudem bereits deutlich unterhalb der Marke von 2 Prozent liegt, ist der Spielraum für weitere Zinsrückgänge entlang der Bundkurve überschaubar.
Insgesamt dürften sich die Zinsen in Deutschland somit tendenziell seitwärts bewegen. Aus heutiger Sicht scheinen geopolitische Risiken noch am ehesten dafür prädestiniert zu sein, die Zinsentwicklung über den Verlauf des Jahres deutlicher zu beeinflussen – insbesondere Safe-Haven-Märkte wie deutschen Bundesanleihen.
Bei Unternehmensanleihen gilt es im Jahr 2025 aus unserer Sicht vor allem, problembehaftete Sektoren zu meiden. Der Automobilsektor ist hier an erster Stelle zu nennen. Ansonsten dürfte die Attraktivität des Renten- beziehungsweise Credit-Marktes unter dem Strich weniger von den Spreadniveaus, sondern vielmehr vom absoluten Renditeniveau beziehungsweise der relativen Attraktivität zum Aktienmarkt abhängen. Nach wie vor liegt viel Geld in Geldmarktfonds, das bei weiteren Zinssenkungen seitens der EZB zur Arbeit geschickt werden dürfte. Wir rechnen mit weiteren starken Zuflüssen bei europäischen Rentenfonds.
Aktien: größere Kluft zwischen Verlierern und Gewinnern
Am Aktienmarkt in den USA dürfte die Agenda des neuen US-Präsidenten in Bezug auf Zölle, Einwanderung, Verlängerung der Steuersenkungen, weniger Regulierung, Regierungseffizienz sowie aggressiver Außenpolitik die Kluft zwischen Gewinnern und Verlieren am Aktienmarkt in den USA im kommenden Jahr vergrößern. So sollten etwa Banken, Energiefirmen beziehungsweise klein- und mittelgroß kapitalisierte Firmen in den USA von einer weniger strengen Regulierung profitieren.
Europas Aktienmarkt dürfte vor dem Hintergrund der deutlich schwächeren Konjunktur, dem geopolitischen Gegenwind und der daher schlechteren Gewinnentwicklung den US-Markt in den kommenden Monaten nur schwerlich übertreffen können. Das stärkste Argument pro Europa ist vermutlich, dass der gesamte Markt dies so einzuschätzen scheint und sich die Dinge gerade dann oft anders entwickeln.
Marktkommentar von Felix Herrmann, Chefvolkswirt bei ARAMEA Asset Management.