Kanzlerinnen-Dämmerung
31.10.2018
Michael Beck, Leiter Asset Management Ellwanger & Geiger / Foto: © Ellwanger & Geiger
Der Börsenmonat Oktober gibt wieder einmal alles, um seinem Ruf gerecht zu werden. Der deutsche Leitindex Dax rutschte seit Anfang Oktober um ca. 7 % ab und etliche Aktientitel weisen zweistellige Prozentabschläge auf. Und dies oft genug nur, weil sie die hoch gesteckten Erwartungen nicht zur Gänze erfüllen konnten. Wenn ein Unternehmen Gewinne verkündet, die nur mühsam versprechen, die gesteckten Ziele zu erreichen, kann es vorkommen, dass diese Werte an den Börsen derzeit mit Abschlägen in Höhe von 10–20 % bestraft werden. Dies ist Ausdruck dafür, dass Investoren derzeit geneigt sind, Gewinne ohne Rücksicht auf Verlust mitzunehmen. Generell ist dabei anzunehmen, dass immer mehr automatisierte Handelssysteme eine Rolle spielen, denn einen Aktienwert mit einem Abschlag von 20 % zu verkaufen, nur weil die Gewinnerwartungen leicht verfehlt wurden, aber dennoch Gewinn- und Dividendenwachstum erreicht werden, zeugt weniger von rationalem Agieren denn von automatischen Stop-Loss-Marken und ausgeprägten Short-Seller-Aktivitäten von darauf spezialisierten Einheiten. Daneben dürfte die Psychologie derzeit an den Märkten eine Hauptrolle spielen, denn die fundamentale Rahmenlage ist nach wie vor ordentlich.
Zwar hat sich das Wachstum in Europa abgekühlt, bleibt aber deutlich in positivem Terrain. Auch der ifo-Geschäftsklimaindex in Deutschland, der die Stimmung von ca. 9.000 Unternehmen misst, gab unerwartet stark nach. Dennoch befindet sich das wichtigste Stimmungsbarometer nach wie vor in jenem Quartil, das den Zustand der „Hochkonjunktur“ anzeigt. Und dies zeigt sich auch beim Arbeitsmarkt. In Deutschland rutschte die Arbeitslosenquote unter 5 % und in Teilen Bayerns und Baden-Württembergs herrscht Vollbeschäftigung (ca. 3 % Arbeitslosenquote).
Da wundert man sich, woher die hohe Unzufriedenheit in der Bevölkerung herrührt, die die politischen Verhältnisse in Deutschland auf den Kopf stellt. Man fragt sich, was passiert, wenn es tatsächlich einmal zu einer ausgeprägten Rezession mit Massenentlassungen kommen würde. Dieses Szenario ist glücklicherweise bei dem aktuellen Datenkranz mehr als unwahrscheinlich. Als Antwort auf den massiven Vertrauensverlust der Regierung in der Bevölkerung hat nun die Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren schrittweisen Rückzug aus der Politik bekannt gegeben. Es ist jedoch nur schwer vorstellbar, dass sie ihr Vorhaben umsetzen kann, ihre Kanzlerschaft bis zum Ende der Legislaturperiode auszufüllen. Die Börse feierte die Aussicht auf den Aufbruch in neue politische Zeiten und goutierte wohl auch die Bereitschaft des altbekannten Friedrich Merz, seinen Hut in den Ring zu werfen. Man darf gespannt beobachten, wie die Union ihr neues Führungspersonal aufstellt. Die Finanzmärkte brauchen Stabilität und Agilität in der Führung. Agonie und Lähmung über drei lange Regierungsjahre wären Gift für Konjunktur und Wohlstand in Deutschland. Ein früherer Stabwechsel an der Regierungsspitze wäre sinnvoll und würde die unbestreitbaren Verdienste, die sich die Bundeskanzlerin auf internationalem Parkett erworben hat, und ihre Lebensleistung in keiner Weise schmälern. Unsicherheiten könnten dadurch minimiert und eine Aufbruchsstimmung auch an den Finanzmärkten erzeugt werden.
Marktkommentar von Michael Beck, Leiter Assetmanagent Bankhaus ELLWANGER & GEIGER