Ist der Markt zu optimistisch

04.10.2022

Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH / Foto: © I.C.M.

Eigentlich irren sich die Märkte selten. Aber die Erholung der Aktienmärkte im Juli bis Mitte August war auch darauf zurückzuführen, dass die Energiepreise sich etwas beruhigt haben, Putin sich gesprächsbereit (allerdings unter inakzeptablen Vorbedingungen) zeigt und Politik und Statistik recht optimistisch klingen. Daraufhin sind die Aktienkurse angestiegen, Short-Positionen mussten geschlossen bzw. reduziert werden und Marktteilnehmer mit „zu viel“ Liquidität mussten in den Markt zurück.

Sie leben allerdings auch mit der Gefahr, dass Russland im Winter seinen „Energiedruck“ noch einmal erhöht. Klar bleibt vorerst, dass Alternativen teurer sind als russisches Öl und Gas. Vorerst dürfte die Inflation dann hoch bleiben, zumal die Nahrungsmittelpreise kaum zurückkommen werden. Genauso wenig wie die Mietpreise. Der Konsument wird dann weiterhin gezwungen sein, in anderen Dingen zu sparen, um die höheren Preise für die Basis seiner Lebensqualität zu bezahlen. Nicht zu vergessen, dass die Lohn-Preis-Spirale losgetreten wurde, die die Kostenseite der Unternehmen belastet und zu weiteren Preissteigerungen führen wird.

Erste Prognosen zeigen bereits negative Tendenzen. So erwartet das Ifo-Institut eine „Winter-Rezession“. Die ZEW-Konjunktur-Erwartung fiel auf minus 61,9. Im August sind die Insolvenzen um 6,6 % gestiegen, unter ihnen auch Unternehmen wie Schuhe-Görtz und Hakle. Die Inflation hat einen Boom bei Pfandhäusern ausgelöst. Eine Million Menschen haben in 2022 bereits ihren Geldbedarf mit Verkäufen (zum Beispiel Schmuck) gedeckt. Diese Reserven sind aber irgendwann zu Ende. Wer mit Krediten belastet ist, da steigen jetzt auch die Zinskosten.

Noch gravierender stellt sich die Situation für den amerikanischen Verbraucher dar. Gemäß den Veröffentlichungen der US-Notenbank ist die Verschuldung der Konsumenten auf Rekordhohe 4,6 Brd. Dollar gestiegen. Nicht beinhaltet sind in diesen Zahlen die Leasing-Verpflichtungen und die Hypothekendarlehen. Letztere sind zwar weitestgehend „sinnvolle“ Schulden, unterliegen aber auch dem Risiko steigender Zinsen.

Der Anschein trügt

Die Amerikaner sind recht einfallsreich. Oder ist es schon ein Zeichen der Ausweglosigkeit? Sie eröffnen neue Kreditkartenkonten! Nach Angaben der FED haben die Amis im 2. Quartal über 200 Millionen Konten eröffnet, mit einem Kreditvolumen von etwa weiteren 100 Mrd. US-Dollar. Dies erhöht nicht nur das private Insolvenzrisiko, sondern auch das Ausfallrisiko für den Bankbereich. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kreditzinsen „dick“ im zweistelligen Bereich liegen. Es scheint, als ob die Amerikaner mittlerweile ihren Lebensstandard über Plastikgeld finanzieren müssen. Aber irgendwann ist auch hier das Limit erreicht.

Aufgrund etlicher Zahlen und Statistiken erscheint die Wirtschaft in einem besseren Zustand, als sie eigentlich ist. Powell wird auch nicht müde, auf eine gute finanzielle Verfassung der Konsumenten hinzuweisen. Er kennt natürlich die entscheidenden Zahlen und die Hintergründe, die eher auf eine Überschuldung hinweisen. Daher dürfte die Umsetzung seiner „Zins-Entschlossenheit“ in Sachen Inflationsbekämpfung Grenzen haben. Aufgrund seiner markanten Aussagen hat er die nächste Zinserhöhung umsetzen müssen. Aber jetzt könnten die steigenden Zinsen noch stärkere Wirkung zeigen. Nicht nur beim Konsum, sondern auch im Immobilienmarkt. Im letzten Quartal kommt „die Stunde der Wahrheit“ für die FED. Aufgrund der hohen Verschuldung muss eine tiefe Rezession verhindert werden, weil sonst eine Schuldenkrise droht. Auch weiter fallende Aktienmärkte und Immobilienpreise stellen eine Gefahr dar, da dann den Krediten geringe Substanz dagegen steht.

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