"Investoren sollten ihre Erwartungen neu ausrichten"
14.11.2022
Aneeka Gupta - Foto: © WisdomTree
Aneeka Gupta, Direktorin im Bereich Makro-Research bei WisdomTree, geht im finanzwelt-Interview auf die großen Trends der Zeit ein. Ihr Blick erstreckt sich über die Inflationsthematik, Rohstoffe bis zu thematischem Investieren.
finanzwelt: Die aktuelle wirtschaftliche Lage stellt die Märkte auf die Probe. Wie werden sich Wachstum, Inflation und Zinsen Ihrer Meinung nach in den kommenden Monaten entwickeln? Aneeka Gupta: In der Geldpolitik erleben wir gerade die stärksten Zinserhöhungen seit Jahrzehnten. Denn die Inflation hat sich aufgrund der Energiekrise von einer vorübergehenden zu einer potenziell dauerhaften Erscheinung gewandelt. Die stetigen Zinserhöhungen durch die Zentralbanken weltweit werden in großen Teilen der Weltwirtschaft voraussichtlich für eine harte Landung sorgen. Und es ist durchaus zu erwarten, dass die Inflation noch einmal anziehen wird, bevor sie 2023 zurückgeht. Vor diesem Hintergrund sollten Investoren sich weiterhin auf ein gewisses Maß an Volatilität auf den Aktien-, Anleihe-, Rohstoff- und Devisenmärkten gefasst machen.
finanzwelt: Was bedeutet das für die Investoren? Wie sollten sie ihre Portfolios in diesem Umfeld anpassen? Gupta: Investoren sollten ihre Erwartungen neu ausrichten – insbesondere im Hinblick auf eine möglicherweise höhere Inflation, die ihre Renditen beeinträchtigen könnte. Eine mögliche Maßnahme könnte darin bestehen, Anlageklassen, die höhere Erträge erwirtschaften, ins Portfolio aufzunehmen. Im Bereich Aktien könnten Investoren ihre Erträge beispielsweise durch Engagements in renditestarken Branchen wie Immobilien, globale Infrastruktur und Energie steigern.
finanzwelt: Rohstoffe gelten weithin als zyklische Anlagen. Warum halten Sie sie dennoch für interessant, und welche Rohstoffe sind derzeit vor allem einen Blick wert? Gupta: Rohstoffe bieten womöglich den besten Inflationsschutz. Zumindest sind sie in diesem Jahr eine der wenigen Anlageklassen, die mit der Teuerungsrate Schritt halten konnten. Rohstoffe verfügen nicht nur über ein hohes Beta gegenüber der Inflation, im Vergleich zu Aktien mit einem negativen Beta. Das Beta gegenüber unerwarteter Inflation ist sogar noch höher. Das Beta von US-Staatsanleihen ist gegenüber erwarteter Inflation zwar positiv, gegenüber unerwarteter Inflation aber negativ. Das ist wichtig zu unterscheiden, denn aktuell leben wir in einer Welt von Inflationsüberraschungen. Interessanterweise fällt das Beta von Gold gegenüber erwarteter Inflation negativ aus, das Beta gegenüber unerwarteter Inflation aber am höchsten. Agrarrohstoffen dürften nach wie vor Rückenwind bekommen, angesichts allgemeiner Sorgen rund um Engpässe bei Düngemitteln, angespannter Verhältnisse bei Getreidebeständen und -verbrauch, des Handelsstroms am Schwarzen Meer und Unsicherheiten wegen ungünstiger Witterung.
finanzwelt: Gold erfüllt in letzter Zeit nicht die Erwartungen als Inflationsschutz. Warum sollten Investoren es trotzdem nicht abschreiben? Gupta: Gold bekommt Gegenwind von einem starken Dollar und einem Ausverkauf bei Anleihen. Trotzdem behält es seinen Wert besser als erwartet. Wir beobachten momentan, dass Gold sich gegenüber dem Anleihemarkt gut hält, wodurch die traditionell starke Beziehung zwischen Gold und inflationsgeschützten Wertpapieren gekappt wurde. Gold ist eine Anlage, die sich unter schlechten wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen allgemein gut entwickelt. Da die Angst vor einer Rezession steigt, ist es wahrscheinlich, dass Investoren Gold vermehrt als Schutz heranziehen werden. Wir befinden uns in einer der stärksten, durch einen Bärenmarkt ausgelösten Inversionen der Zinsstrukturkurve seit 1981. Dies lässt auf eine Kraftquelle für Gold schließen, wie sie bereits seit Jahrzehnten nicht mehr zu beobachten war.
finanzwelt: Wie sieht es mit den Aktienmärkten aus? Schwaches Wachstum und Rezessionssorgen lassen wohl nichts Gutes erahnen. Gupta: Drei Faktoren prägen die Aktienmärkte aktuell besonders: geopolitische Risiken, restriktive Geldpolitik sowie Druck auf die Margen durch eine hohe Inflation und eine sinkende Nachfrage. Angesichts dessen und der damit verbundenen Volatilität könnte es klug sein, Aktienportfolios in Richtung niedriger Duration, hoher Dividenden und Value-Aktien zu orientieren. Derzeit wird erwartet, dass Value-Aktien in den Branchen Energie, Healthcare und Industrie in der Berichtssaison für das dritte Quartal 2022 am meisten Ertragswachstum liefern werden. Value-Aktien haben auch bessere Chancen auf eine Verteidigung beziehungsweise Steigerung ihrer operativen Gewinnmargen gegenüber Wachstumsaktien, die auf Zinserhöhungen am langen Ende der Zinsstrukturkurve sensibler reagieren.
finanzwelt: Warum sind hochwertige Dividendenaktien Ihrer Ansicht nach im Moment besonders interessant? Gupta: Dividendenstarke Qualitätsaktien werden häufig als „Allwetteranlagen“ gerühmt. Denn sie können in Zeiten niedriger Volatilität beim langfristigen Vermögensaufbau helfen und lassen sich gleichzeitig in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als defensive Vermögenswerte einsetzen. Stabilität und garantierte Erträge machen sie zu einer relativ sicheren Anlage, die im weiteren Verlauf des Zyklus‘ zunehmend attraktiv wird. Insofern können Investoren Qualitätsaktien als Anker für ihre Portfolios in Betracht ziehen – und zwar nicht nur heute, sondern grundsätzlich.
finanzwelt: Traditionelle defensive Aktien mit niedriger Volatilität stehen bei Ihnen derzeit nicht hoch im Kurs. Warum? Gupta: Unserer Meinung nach bietet Qualität ein überlegenes Risiko-Rendite-Profil gegenüber niedriger Volatilität. Denn sie ermöglicht Investoren, sich nach unten abzusichern und gleichzeitig von einer Erholung zu profitieren. Insofern bevorzugen wir defensive Werte mit einer Value- und Dividendenorientierung in Branchen wie Energie, Gesundheit, Industrie und Versorger.
finanzwelt: Wie steht es um thematische Anlagen, die langfristigen Megatrends profitieren könnten? Gupta: Zwei Themen nehmen derzeit trotz des schwierigen wirtschaftlichen Hintergrunds an Fahrt auf: die Energiewende und die digitale Transformation. Ersteres wird für alle Formen der sauberen Energiegewinnung hohe Investitionen erfordern, einschließlich erneuerbarer Energien, Wasserstoff, Biokraftstoffe und Wasserkraft. Was die digitale Transformation angeht, müssen die Daten im Zuge des explosionsartigen Anstiegs bei der Datennutzung physisch gespeichert werden. Dies dürfte mehr Rechenzentren und immer schnellere Internetgeschwindigkeiten erfordern. Für Investoren, die Cloud-Computing als Megatrend im Blick haben, liegt die Chance nicht nur in der Software, sondern auch in den Immobilien für die notwendige Infrastruktur. (ah)