Inflationsziele verteidigen
06.06.2016
Karsten Junius
Rückkehr zu höheren Inflationsraten ist weiterhin wünschenswert. Geldpolitik ist so gut wie nie neutral. Sie begünstigt mal Sparer, mal Kreditnehmer. Sie beeinflusst den Wechselkurs und wirkt daher unterschiedlich auf Exporteure als auf Importeure.
Zeitweise bremst sie Wachstum und Inflation und zeitweise stimuliert sie die Kreditvergabe und den Arbeitsmarkt. Notenbanken sind daher Kritik gewöhnt, da sie es nie allen recht machen können. Derzeit wird häufig kritisiert, dass wichtige Zentralbanken im gegenwärtigen Niedriginflationsumfeld weiterhin ihre Inflationsziele verfolgen. Neu daran ist, dass diese Kritik vermehrt von Ökonomen kommt. Richtiger ist sie deswegen nicht. Politiker verlangen häufig eine expansivere Geldpolitik, die ihnen vor allem in Wahljahren das Leben leichter machen würde. Damit dies nicht zu unerwünschten Inflationsprozessen führt, sind die meisten Notenbanken von den Regierungen und vor allem der Finanzpolitik unabhängig. Ökonomen verteidigen meist diese Unabhängigkeit mit dem Verweis darauf, dass eine zu expansive Geldpolitik kurzfristig zwar das Wachstum stimuliert, mittelfristig aber lediglich zu höheren Inflationsraten führt. Insofern ist es bemerkenswert, dass von ökonomischer Seite vermehrt in Frage gestellt wird, dass die EZB die Inflationsraten wieder auf ein Niveau von 2 Prozent bringen sollte. Merkwürdigerweise wird zwar nicht angezweifelt, dass Inflation ein monetäres Phänomen ist, aber die jetzige Situation sei dennoch anders. Als Gegenargumente der vermeintlich zu expansiven Geldpolitik werden dann die Gefahr von Vermögenspreisblasen, geringeren Sparerträgen und selbst die Möglichkeit späterer Hochinflationsphasen genannt. Konsistent ist die Kritik häufig nicht. Sind Kapitalbesitzer tatsächlich Leidtragende der Niedrigzinsphase, wenn diese doch zu galoppierenden Preisen ihrer Vermögen führen soll? Und wenn die Niedrigzinsen so unerwünscht sind, warum sollten sie durch eine Absenkung der Inflationsziele noch zementiert werden? Wenn die von der EZB angeblich übermäßig zur Verfügung gestellte Liquidität die Gefahr von mittelfristig übermäßiger Inflation mit sich bringt, warum soll die Zentralbank dann nicht in der Lage sein, ihre aktuelle Inflationsnorm zu erreichen und stattdessen Deflationsgefahren in Kauf nehmen? Ist Inflation überhaupt noch ein monetäres Phänomen? Richtig ist, dass es nach Bilanzrezessionen schwierig ist, die Konjunktur wieder zu beleben und die Inflation auf das gewünschte Niveau zu bringen. Vor allem hoch verschuldete Haushalte, Unternehmen und Staaten können dazu wenig zusätzliche Nachfrage beitragen. Damit sich dies aber ändert, dürfen Inflationsziele nicht abgesenkt werden. Niedrige Inflationsziele verlangsamen strukturelle Anpassungen beispielsweise bei der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Branchen und Länder. Die gegenwärtige Situation in der Eurozone ist dafür das beste Beispiel. Verringerte Inflationsziele würden auch die reale Schuldenlast nur noch erhöhen. Schuldner genau wie Sparer müssen sich auf ein gewisses Inflationsniveau verlassen können. Welches kurzfristige Zinsniveau damit kompatibel ist, lässt sich dabei nie genau vorhersagen. Es ist in jedem Konjunkturzyklus anders. Zentralbanken haben daher nicht die Aufgabe, ein bestimmtes Zinsniveau anzusteuern oder Zinsen mechanistisch anzupassen. Stattdessen sollten sie in Phasen, in denen die Inflation unterhalb ihres Ziels ist, die Wirtschaft mit zusätzlichen Zinssenkungen stimulieren, sodass Unternehmen und Haushalte einen Anreiz haben, mehr zu investieren und zu konsumieren. Bei einer sehr niedrigen Kapitalrentabilität kann das offensichtlich auch länger zu negativen Zinsen führen. Wenn diese wiederum politisch unerwünscht sind, dann sollte sich die Diskussion eher darum drehen, welche anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen die Inflationsraten wieder erhöhten. Eines ist klar – eine Mietpreisbremse gehört nicht dazu, höhere Löhne dagegen schon eher.
Autor ist Karsten Junius, Chefökonom, Bank J. Safra Sarasin AG