Industriezykliker, Luxusgüter und Finanzwerte unter Druck
17.03.2022
Zehrid Osmani Leiter für globale, langfristige und indexunabhängige Strategien bei Martin Currie / Foto: © Martin Currie
Angesichts des relativ geringen Gewichts Russlands im internationalen Handel glauben wir nicht, dass diese kurzfristige negative Auswirkung auf das Vertrauen einen dauerhaften Einfluss auf die wirtschaftliche Dynamik haben wird. Vorausgesetzt, der Konflikt weitet sich nicht auf andere Gebiete aus. Der bewaffnete Konflikt zwischen der Ukraine und Russland hat das Potenzial, die Inflation weltweit anzuheizen, und zwar aufgrund der höheren Ölpreise und der Unterbrechung der Energielieferungen, aber auch bei den Agrarrohstoffen, da die Ukraine und Russland über eine beträchtliche landwirtschaftliche Produktion verfügen. Sektoren, die in nächster Zeit von dem Konflikt und der Unsicherheit unterstützt werden dürften, sind der Verteidigungssektor, Alternative Energien – hier insbesondere LNG -, Öl und Gas sowie Verbrauchsgüter, Düngemittel und landwirtschaftliche Maschinen. Dies steht im Zusammenhang mit dem Anstieg der Getreidepreise. Und schließlich erwarten wir höhere Ausgaben für Cybersicherheit.
Unter Druck dürften in nächster Zeit Industriezykliker stehen als auch Luxusgüter, da eine potenzielle Angst vor einem schwächeren Handel besteht. Aber auch die Finanzwerte sind betroffen, da sie durch die Erwartung niedriger Zinssätze zusammen mit den Auswirkungen der Sanktionen einige Engagements europäischer Banken in Russland belastet werden.
Geopolitische Risiken stehen jetzt im Mittelpunkt
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine kam für den Markt unerwartet und hat dazu geführt, dass die Geopolitik stärker in den Mittelpunkt gerückt ist. Die expansiven territorialen Ansprüche Russlands haben das Potenzial, die Aufmerksamkeit des Marktes auf China und seine territorialen Ansprüche im Südchinesischen Meer zu lenken - ein Risiko, das der Markt unserer Meinung nach nicht richtig einschätzt. Gleichzeitig hält China möglicherweise den Schlüssel zu einer Deeskalation des Konflikts in der Ukraine, durch die mögliche Rolle als Vermittler oder durch diplomatischen Druck auf Putin. Die Situation ist zum jetzigen Zeitpunkt höchst unvorhersehbar, man könnte düstere Szenarien einer Eskalation und Ausweitung des Konflikts malen. Daher ist es wahrscheinlich, dass die Anleger in nächster Zeit ihre Risikopositionen reduzieren werden, vor allem in Bezug auf geografische Engagements.
Stagflation eher unwahrscheinlich
Während wir die Wahrscheinlichkeit einer Stagflation weiterhin als gering einschätzen, erhöhen wir sie auf 10-15 %. Als wir Anfang Dezember letzten Jahres unseren Bericht über die Aussichten für das Jahr 2022 verfassten, lag sie noch unter 5 %. Das Stagflationsrisiko ist in Europa zum jetzigen Zeitpunkt eindeutig höher als in anderen Regionen.
Unserer Ansicht nach birgt ein bewaffneter Konflikt ein erhöhtes Risiko, dass der Konjunkturzyklus von einer Expansion zu einer Verlangsamung übergeht. Dies würde in der Regel Qualitäts- und Wachstumswerte gegenüber Value-Titeln begünstigen.
Der verstärkte Inflationsdruck wird die erhöhte und länger anhaltende Inflation, die wir erleben und die über Mitte 2022 hinaus anhalten könnte, weiter verstärken. Angesichts der Stärke des US-Dollars, der als Flucht in einen sicheren Hafen angesehen wird, und der möglichen Zinsdifferenzierung der Zentralbanken könnte dies auch den Inflationsdruck in der europäischen Region erhöhen.
Wichtiger Faktor: Unternehmensgewinn
Angesichts der geringeren Gewinnwachstumsaussichten dürfte die Gewinndynamik für die Anleger noch wichtiger werden. Wie in unserem Ausblick für 2022 dargelegt, waren die Erwartungen für das Gewinnwachstum in diesem Jahr nach einer deutlichen Erholung im Jahr 2021 eher verhalten. Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen führen zu einem Abwärtsrisiko für die Wirtschaftsdynamik, und werden daher die Ertragswachstumserwartungen weiter nach unten ziehen, insbesondere wenn das Klima der Unsicherheit anhält. In einem solchen Umfeld mit höherer Inflation, geringerem Wirtschaftswachstum und niedrigerem Gewinnwachstum wird der Markt noch stärker auf Unternehmen mit beständigem Wachstum und höheren strukturellen Wachstumsprofilen setzen, die über Preisgestaltungsmacht verfügen, um ihre Margen vor dem höheren Inflationsdruck zu schützen. Wir sind der Ansicht, dass Qualitäts- und Wachstumsunternehmen wieder in den Fokus der Anleger rücken werden, da diese Unternehmen in der Regel mehr dieser Merkmale wie beständiges Wachstum, höhere strukturelle Wachstumsprofile und stärkere Preisgestaltungsmacht aufweisen.
Kolumne von Zehrid Osmani, Leiter für globale, langfristige und indexunabhängige Strategien bei Martin Currie, Teil von Franklin Templeton