Ich war ein Star, holt mich aus der Rezession …
11.10.2015
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Zurück zum Junk-Status: Mit der jüngsten Abstufung Brasiliens auf BB+ durch die Agentur Standard & Poor´s ist eingetreten, was die Regierung erklärtermaßen verhindern wollte und was trotzdem von immer mehr Beobachtern und Analysten erwartet wurde.
Das BRIC-Land Brasilien ist vom Champion zu einem Schmuddelkind der Weltwirtschaft geworden, Währung und Wertpapiere der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas werden wieder zum Spielzeug der Zocker. Hintergrund dieses Absturzes ist das Zusammentreffen von starken externen Schocks, hausgemachten Problemen und einer schweren politischen Krise im Gefolge eines Korruptionsskandals.
Auf den ersten Blick wirken die Nachrichten aus Brasilien wie eine Wiederkehr der 70er und 80er Jahre: Wirtschaftskrise, Rezession, wacklige Staatsfinanzen, Korruptionsskandal – die gewöhnliche Folklore Südamerikas mit der unvermeidlichen Abstufung durch die Ratingagenturen, die die Vorurteile mangelnde Seriosität bestätigt. Das ist ein tiefer Sturz, nachdem das Land im Klub der BRICs schon fast zu einer Art Weltmacht herangewachsen schien.
Die Gründe hinter der wirtschaftlichen
Miseresind schnell aufgezählt.
Das drohende Ende der Politik des leichten Geldes in den USA und Europa hat die Investoren verunsichert, sie orientieren sich neu. Statt in die Emerging Markets zieht es sie wieder in die westlichen Industriestaaten. Der schwächere Zufluss an Finanzen sorgt für steigende Zinsen und sinkende Investitionsmöglichkeiten. Schwache Investitionen wirken immer direkt als starker Bremshebel auf die Konjunktur. Dazu als eine zweite Welle die Abschwächung des (immer noch starken) Wachstums in China. Konsequenz: Die globale Rohstoffnachfrage wird fühlbar schwächer, die Preise brechen ein. Das trifft Brasilien stark, denn trotz der teilweise beeindruckenden industriellen Kapazitäten spielen Rohstoffförderung und -export immer noch eine zentrale Rolle. Eine Schwäche auf dieser Seite führt zu schnell wachsenden Defiziten in der Leistungsbilanz und damit zu wachsender Auslandsverschuldung. Das bedeutet konkret: Die ausländischen Investoren müssen dazu bewegt werden, wachsende Mengen an brasilianischen Papieren aufzunehmen, während sich die Bilanzdaten gerade verschlechtern und die Liquidität knapper wird.
Das wurde noch schwieriger durch einen hausgemachten Fehler: Durch die in der Rückschau wie Größenwahn wirkenden Investitionen in Großveranstaltungen wie die (vergangene) Fußball-Weltmeisterschaft oder die (kommenden) Olympischen Spiele sowie Wahlkampfgeschenke stiegen die Staatsausgaben, der Fiskus geriet immer tiefer ins Minus und heizte damit die gerade erst eingedämmte Inflation wieder an. Diese lag zuletzt bei 9,3 % und damit klar über der ohnehin großzügig bemessenen Toleranzgrenze der Währungshüter bei 6,5 %, deren Inflationsziel 4,5 % +/- 2 Prozentpunkte lautet. Darauf haben die Währungshüter natürlich reagiert mit einer lang andauernden Straffung, die Leitzinsen stiegen von 7,25 % (April 2013) auf aktuell 14,25 %. So ein Zinsschock hätte wohl schon für sich allein ausgereicht, um eine Rezession zu bringen.
Hinzu kommt aber noch eine immer schärfere politische Krise, die von einem Korruptionsskandal rund um die staatliche Ölfirma Petrobras ausgelöst wurde. Hintergrund ist ein Schmiergeldsystem, indem Baufirmen ihre Leistungen nur dann an den Staatskonzern verkaufen konnten, wenn sie proportional zum Auftragswert (nicht nur) an die regierende Arbeiterpartei (PT) zahlten. Das System war schon zu Zeiten des Ex-Präsidenten Lula da Silva in Kraft, als die heutige Präsidentin Dilma Rousseff dort als Chefin des Aufsichtsrates amtierte. Dieser Skandal unterminiert das Vertrauen in die Politik, was zu Zurückhaltung der Unternehmen und Konsumenten führt, die ihr Geld zusammenhalten.
Der weitere Ausfall an Nachfrage verschärft unmittelbar die Wirtschaftskrise. Gleichzeitig wurde damit die Regierung soweit geschwächt, dass sie die notwendigen Entscheidungen zur Konsolidierung nicht mehr durchsetzen kann. Folge: Die Selbstverpflichtung auf einen Primärüberschuss (Etatsaldo vor Zinszahlungen) im laufenden Jahr fiel unter den Tisch. Dies wurde zum Auslöser für weiteren Druck auf die Kurse.
Mittlerweile steckt Brasilien auch technisch in einer Rezession. Das 2. Quartal brachte einen BIP-Rückgang um 1,9 %, nachdem schon das 1. Quartal den revidierten Zahlen zufolge mit -0,7 % abschloss (zunächst -0,2 % gemeldet). Und die Aussichten bleiben dürftig. Die IWF-Projektion vom Mai sieht mit 0,9 % wenigstens wieder geringes Wachstum für 2016 vor nach einem Rückgang um 1 % im laufenden Jahr. Die aktuelleren Schätzungen sehen mittlerweile im Durchschnitt etwa -2,5 % vor, wie eine neue Übersicht der Notenbank zeigt. Die für die folgenden Jahre erhoffte Erholung fällt mit jeder neuen Schätzung flacher aus.
Diese wahrlich schlechten Perspektiven haben die Märkte für brasilianische Papiere einbrechen lassen. Allein der Fall des Real hat das Portfoliogewicht Brasiliens um 30 % fallen lassen, dazu kommen die Rückgänge der Wertpapierkurse um etwa 25 % bei den Aktien im gleichen Zeitraum, was zusammen einen Rückgang um über die Hälfte als Zwischenstand ergibt. Für die Analysten der Schweizer UBS ist daher klar, dass der neuerliche Einbruch der Kurse im Gefolge des Downgrade keine Kaufgelegenheit ist: „Too early to buy“ lautet ihre Einschätzung, sie empfehlen stattdessen, lieber Mexiko ins Depot zu nehmen. Das passt mit den Empfehlungen bei Allianz Global Investors (AGI) ganz gut zusammen, die die Aktien der Emerging Markets derzeit generell mit Skepsis betrachten. „Ein schwächerer US-Dollar, sich stabilisierende Rohstoffpreise und weitere wirtschaftspolitische Stimuli, vor allem aus China, könnten das Blatt wenden“, nennt AGI-Analystin Ann-Katrin Petersen die Voraussetzungen für Überlegungen über neue Aktien-Engagements in den Emerging Markets. Solange das nicht gegeben ist, bleibt Brasilien jedenfalls außen vor. _(mk)
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