„Ich mach mir die Welt – widdewidde witt sie mir gefällt …“

18.06.2018

Markus Richert, CFP® und Seniorberater Vermögensverwaltung bei der Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH / Foto: © Portfolio Concept

Was haben Recep Tayyip Erdoğan und Pippi Langstrumpf gemeinsam? Beide haben wenig Ahnung von volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Zusätzlich sind alle beide ziemlich vermögend. Pippi Langstrumpf hat ihr Vermögen geerbt. Recep Tayyip Erdoğan dagegen stammt aus eher ärmlichen Verhältnissen, sein Vermögen stieg erst analog mit seinem politischen Aufstieg. Beobachter schätzen es mittlerweile auf mindestens über 150 Millionen Euro. Während Pippi Langstrumpf immerhin zugibt mit “Plutimikation” noch nie was am Hut gehabt zu haben, soll Recep Erdoğan sogar über einen wirtschaftswissenschaftlichen Abschluss verfügen, auch wenn das umstritten ist.

Das mag auch die Begründung dafür sein, dass er Ursache und Wirkung beim Zusammenspiel von Leitzinsen völlig durcheinanderbringt. Denn die Volkswirtschaft der Türkei steht seit einigen Monaten massiv unter Druck. Zwar kann die Regierung Erdoğans auf ein beeindruckendes Wachstum von 7,4 Prozent im vergangenen Jahr verweisen, es mehren sich allerdings die Zweifel an den offiziellen Zahlen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, die Inflation zieht massiv an und liegt bereits bei rund elf Prozent. Das Wachstum gründet sich im Wesentlichen auf den heimischen Konsum. Seit Jahren befinden sich die Türken in einem wahren Kaufrausch. Überall im Land entstehen neue Einkaufzentren. Weitere Treiber sind große Bauprojekte des Staates und die Investitionen von Firmen. Dabei ist jedoch fast alles auf Kredit finanziert. In der Folge gerät die türkische Lira an den Kapitalmärkten immer mehr unter Druck und verliert an Wert.

Niedrige Zinsen gleich niedrige Inflation?

Für den Vorzeige-Ökonomen Erdoğan ist der Schuldige natürlich schnell identifiziert. Neben der unvermeidlichen ausländischen Verschwörung sind die Zinsen in der Türkei seiner Ansicht nach viel zu hoch. Er ist der festen Überzeugung, und hat es leider auch in einem viel beachteten Bloomberg Interview so geäußert, das „je niedriger die Zinsen sind, desto niedriger die Inflation“. Allerdings steht er mit seiner neuen ökonomischen Theorie in der Welt der Wissenschaft ziemlich alleine da und nach seinem Interview sackte die Lira weiter ab.

Denn nach anerkannter Lehrmeinung ist das Gegenteil richtig. Zentralbanken müssen die Leitzinsen als Reaktion auf zu hohe Inflation erhöhen. Dadurch wird dem Wirtschaftskreislauf Geld entzogen und ein weiterer Anstieg der Inflation begrenzt. Zinssenkungen dagegen sind ein Mittel, um eine Wirtschaft wieder zu beleben und mehr Geld in die Wirtschaft zu pumpen, wenn die Inflation zu niedrig ist.

Genau aus diesem Grund sollten Notenbanken unabhängig sein, damit die Geldpolitik nicht für kurzfristige Wahlgeschenke der Politik missbraucht werden kann. Denn bei seinen potentiellen Wählern rennt Erdoğan mit seiner Forderung nach niedrigen Zinsen offene Türen ein. Denn natürlich sind verschuldete Unternehmen und Familien gegen steigende Zinsen. Zusätzlich hat er noch weitere Wahlgeschenke angekündigt. Für die über zwölf Millionen Rentner sind unter anderem Einmalzahlungen über insgesamt 2000 Lira (rund 400 Euro) pro Person vorgesehen. Finanziert alles auf Pump, was die Aussichten für die Zukunft wohl kaum verbessert.

Türkei ist im Abwärtsstrudel gefangen

Verschärft wird die derzeitige Krise dadurch, dass die türkische Notenbank in ihrem Handlungsspielraum immer stärker beschnitten wird. Mit ihrer Unabhängigkeit ist es leider nicht mehr weit her. Nach außen hin soll sie natürlich unabhängig sein, allerdings setzt der türkische Präsident voraus, dass sie seine Signale erkennt und sich danach richtet.

Eine Definition der Unabhängigkeit die von den internationalen Kapitalmärkten nicht geteilt wird. In der letzten Woche haben dann die Verantwortlichen in der Zentralbank scheinbar doch all ihren Mut zusammengenommen und einen ihrer Zinssätze um drei Prozentpunkte von 13,5 auf 16,5 Prozent erhöht. Allerdings viel zu spät um den freien Fall der türkischen Lira noch zu stoppen. Denn die türkische Volkswirtschaft ist bereits in einem Abwärtsstrudel gefangen.

Die Versäumnisse die letzten Jahre sind durch zaghafte Zinsanpassungen nicht mehr zu heilen. Je mehr die türkische Lira an Wert verliert, desto teurer werden Importe in die Türkei. Dabei ist das Land von Importen abhängig. Die Volkswirtschaft ist extrem auf Geld und Waren aus dem Ausland angewiesen, damit die Wirtschaft weiterläuft. Das Land am Bosporus hat einen hohen externen Finanzierungsbedarf, welcher aus dem chronischen Minus in der Leistungsbilanz resultiert.

Die Lira ist bereits im freien Fall, die Inflation wird dadurch immer weiter befeuert und das Tempo nimmt rasant zu. Zinssenkungen könnten zu einem Zusammenbruch der Lira führen. Der Kapitalmarkt weiß das, der Ökonom Erdoğan will es scheinbar nicht wissen.

Populisten wie Erdoğan versprechen einfache Lösungen in einer komplexen Welt

Populisten werden von ihren Anhängern gewählt, weil sie einfache Lösungen in einer zunehmend komplexen Welt versprechen. Erdoğan befindet sich da derzeit in guter Gesellschaft. Auch in Italien liegen die beiden extremen populistischen Parteien, auch nach der gescheiterten Regierungsbildung, nach wie vor in der Gunst der Wähler vorne.

In den USA regiert sogar ein Präsident, der es mit platten Tweets in das noch wichtigste Amt der westlichen Welt geschafft hat. Für die Kapitalmärkte stellen solche wirtschaftspolitischen Amateure an den Schalthebeln der Macht eine zunehmende unkalkulierbare Gefahr dar. Leider leben wir nicht in der Villa Kunterbunt einer Astrid Lindgren, in der eine Pippi Langstrumpf sich einfach die Welt macht, wie sie ihr gefällt. Auch die deutsche SPD-Vorsitzende Andrea Nahles kann davon ein Lied singen.

Kolumne von Markus Richert, CFP® und Seniorberater Vermögensverwaltung bei der Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH in Köln