Hier spielt die Musik

27.06.2024

Martin Lorentzon (li.) und Daniel Ek (r.) - Foto © Spotify

Als am 03. April 2018 Spotify an die Börse ging, zog ein gewisses Raunen durch die ehrwürdigen Hallen des New York Stock Exchange (NYSE). Der weltweit größte Musik-Streamingdienst notierte drei Stunden nach dem Handelsauftakt seinen offiziellen Einstandskurs: 165 US-Dollar war die Aktie des schwedischen Unternehmens wert. Damit starteten die Papiere 26 % über dem von der Börse gesetzten Referenzkurs von 132 Dollar.

Die Erfolgsgeschichte von Spotify begann in den frühen 2000er Jahren, als im Internet das Thema illegale Musik-Downloads beherrschend war. Durch immer schnellere Leitungen konnten sich Nutzer in Tauschbörsen ihre Lieblingssongs relativ einfach besorgen und leiteten damit die große Sinn- und Wirtschaftskrise der Musikindustrie ein. Begonnen hatte das sogenannte Filesharing – also die Verbreitung von Informationen und kreativen Werken – vor allem durch die verbesserten Methoden zur Datenkomprimierung: im Falle von Musik durch die Einführung des MP3-Systems des Fraunhofer-Instituts. Zu den ersten und bekanntesten Anbietern gehörte der 1999 ins Leben gerufene Dienst Napster. Hier wurden die ebenso massenhaften wie illegalen MP3-Dateien per zentrale Server übertragen. Bereits im Dezember 1999, nur wenige Monate nach Beginn des Angebots, legte die Recording Industry Association of America Klage gegen den Betreiber des Angebots ein, was schließlich im Juli 2001 zur gerichtlichen Schließung von Napster führte. Da nur wenige Plattenfirmen bereit waren, ihre Musik für den Vertrieb über das Internet zu lizenzieren, scheiterten die Bemühungen, Napster in eine kostenpflichtige Musikvertriebsplattform umzuwandeln. Mehr als 26,4 Millionen verifizierte Nutzer zählte Napster bei seiner Schließung – ein Erfolg, der deutlich machte, wie enorm die Nachfrage nach einer Anwendung war, die es ermöglichte, Musik herunterzuladen und weiterzugeben. Doch wie sollte es möglich sein, dass nach dem größten anzunehmenden Unfall für die Musikbranche, für die Rechteinhaber und für die Kreativen ein legaler, das Copyright einhaltender Dienst etabliert werden könnte?

Die Spotify-Gründer Daniel Ek und Martin Lorentzon kamen aus verschiedenen Jobs in der IT-Branche. Die beiden Stockholmer verband schon lange das Interesse an digitalen Innovationen für den Bereich der Informationstechnologie. Ek hatte ein Start-up-Unternehmen gegründet, das 2006 von der digitalen Marketingfirma Tradedoubler übernommen wurde. Tradedoubler war von Lorentzon mitbegründet worden, und die Übernahme brachte die beiden zusammen. Daniel Ek hatte die kühne Idee, die von Napster hinterlassene Lücke zu füllen, indem man urheberrechtlich geschützte Audioinhalte von Musiklabels erwirbt und diese den Nutzern anbietet. „Mir wurde klar, dass man die Piraterie niemals durch Gesetze verhindern kann. Gesetze können helfen, aber sie beseitigen das Problem nicht. Die einzige Möglichkeit, das zu lösen, bestand darin, einen Dienst zu schaffen, der besser war als Piraterie und gleichzeitig die Musikindustrie entschädigte – so entstand Spotify“, erinnert sich Daniel Ek. Der Name Spotify entwickelte sich nach eigener Aussage eher zufällig: Ek hatte einen Begriff, den Lorentzon verwendete, fälschlicherweise als „Spotify“ verstanden. Doch die Idee, Musik zu „entdecken“ oder „identifizieren“, gefiel beiden und so ging Spotify erstmalig 2009 im Vereinigten Königreich an den Start.

Nutzerfreundliche Abomodelle

Um sicherzustellen, dass die angebotene Musik der assoziierten Künstler legal ist, begannen Ek und Lorentzon Abkommen mit den unterschiedlichsten Musiklabels zu schließen. Das sogenannte „Freemium“-Modell des Spotify-Service erlaubte es den Nutzern, kostenlos auf Audio-Inhalte zugreifen zu können, diese ließen sich jedoch wie in Napster-Zeiten nicht mehr herunterladen. Darüber hinaus umfasste das kostenlose Modell Werbepausen zwischen den einzelnen Songs. Bezahlte Abonnements, die in zwei Varianten angeboten wurden, erlaubten den Nutzern uneingeschränkten Zugriff auf die Inhalte, das Herunterladen von Inhalten zum Offline-Hören und werbefreien Genuss. Was anfangs kritisch betrachtet wurde, entwickelte sich rasch zum Erfolgsmodell: Bis März 2011 hatte das Unternehmen europaweit 1 Million zahlende Abonnenten gewonnen; sechs Monate später meldete es eine Verdoppelung dieser Zahl. Etwa zur gleichen Zeit startete Spotify in den Vereinigten Staaten. Das Unternehmen bot nicht nur Zugang zu Musiktiteln, sondern führte auch Algorithmen ein, mit denen Nutzer individuelle Wiedergabelisten erstellen konnten. Bis August 2012 verzeichnete Spotify mit 15 Millionen aktiven Nutzern, von denen 4 Millionen zahlende Abonnenten waren. Daniel Ek zum Spotify-Wachstum: „Es gibt eine halbe Milliarde Menschen, die online Musik hören, und die überwiegende Mehrheit tut dies illegal. Aber wenn wir diese Leute auf die legale Seite und Spotify bringen, werden wir die Musikindustrie unterstützen und das wird dazu führen, dass mehr Künstler großartige neue Musik machen.“

2015 begann Spotify, ein großer Podcast-Anbieter zu werden. Im Jahr 2017 kaufte das Unternehmen das Online-Musikstudio Soundtrap, um es 2019 in „Soundtrap for Storytellers“ umzuwandeln. Man kaufte Gimlet Media und Parcast, die beliebte Podcasts produzierten, sowie Anchor, ein Service, der Podcastern half, von ihrer Arbeit zu profitieren. Im Jahr 2023 verkaufte Spotify Soundtrap zurück an seine Gründer und entschied sich stattdessen, seinen Podcast-Katalog durch sein Programm „Spotify for Podcasters“ zu erweitern. Außerdem fusionierte das Unternehmen Gimlet und Parcast zu einer Einheit. 2024 listet der Streamindienst mehr als 100 Millionen Musiktitel, 5 Millionen Podcast-Titel und mehr als 300.000 Hörbücher in seinem Katalog. 600 Millionen Nutzer und mehr als 230 Millionen zahlende Abonnenten weltweit werden im Geschäftsbericht gemeldet. Der Ruf von Spotify wurde durch Kooperationen mit Unternehmen wie der „New York Times“, Samsung, Google, Amazon und Sony sowie mit Social-Media-Plattformen wie Snapchat und Facebook gestärkt.

Personalisierte Playlisten und die passende Empfehlung

Ein wichtiger Faktor im Erfolgsmodell Spotify stellt die Benutzerfreundlichkeit dar. Die Plattform ist einfach zu bedienen und bietet eine Vielzahl von Funktionen, die es den Nutzern ermöglichen soll, ihre Lieblingsmusik zu entdecken. Die Suche nach Songs, Alben oder Künstlern ist einfach gestaltet, die personalisierten Empfehlungen basierend auf den Hörgewohnheiten des jeweiligen Nutzers sorgen dafür, dass stets neue Musik gefunden werden kann. Darüber hinaus bietet Spotify unzählige Playlisten für jeden Geschmack und jede Stimmung. Die Möglichkeit, diese Playlists zu teilen oder gemeinsam mit Freunden zu erzeugen, soll das Musikhören auf Spotify zu einem sozialen Erlebnis werden lassen. Daniel Ek: „Damit ein Dienst sozial ist, muss man ihn von Grund auf bauen. Die Tatsache, dass fast ein Drittel der US-Bevölkerung überhaupt von Spotify gehört hat, liegt in Wirklichkeit daran, dass sie es auf Facebook gesehen oder von Freunden gehört haben.“ Ein weiterer großer Pluspunkt von Spotify ist die Offline-Funktion. Ganz anders als zu Filesharing-Zeiten, in denen MP3-Dateien auf die eigene Festplatte zum permanenten Gebrauch und endloser Kopie geladen wurden, können Premium-Abonnementen ihre Lieblingsmusik auch ohne Internetverbindung hören. Die Dateien sind geschützt, unkopierbar und im Falle einer Abo-Kündigung nicht mehr abspielbar.

Konkurrenz, Kritik und Klagen

In den letzten zehn Jahren sind zahlreiche Plattformen nach dem Spotify-Modell entstanden: Apple Music, Tidal, Deezer, Amazon Music, YouTube Music, Sound Cloud oder Pandora. Sie alle versuchen, ein Stück vom Streaming-Kuchen zu ergattern. Allen gleich ist die relativ bescheidene Bezahlung der Kreativen. Die Musikvertriebsplattform iGroove hat ausgerechnet, dass Musiker bei Spotify im Schnitt 3.398 Euro pro 1 Million Streams bekommen. Das entspricht 0,0033 Euro für einen Stream, 34 Cent für 100 Streams und 3,39 Euro für 1.000 Streams. Im letzten Jahr hat Spotify ein verschärftes Vergütungsmodell angekündigt. So müssen in Zukunft alle Songs einen Mindest-Schwellenwert von 1.000 Streams pro Jahr erreichen, um bezahlt zu werden. Außerdem muss jeder Song eine bestimmte Zahl an Hörern haben. Mehrere deutsche Musikerinnen und Musiker hatten daraufhin eine Petition gestartet, in der sie den Streamingdienst dazu auffordern, die geplanten Vergütungsveränderungen zu stoppen und die Daten zur Berechnung der Streamshares transparent zu machen.

Spotifys Auf und Ab an der Börse

Seit 2018 ist Spotify ein börsennotiertes Medienunternehmen. Man wählte für den Börsengang den ungewöhnlichen Weg einer Direktplatzierung, bei der Aktionäre ihre Anteilsscheine verkaufen können. Der Streamingdienst ließ sich zwar von Investmentbanken wie Goldman Sachs und Morgan Stanley beraten, beauftragt diese aber nicht wie üblich mit einer Aktienausgabe und dem dazugehörigen Preisbildungsverfahren. „Das traditionelle Modell, ein Unternehmen an die Börse zu bringen, passt nicht für uns“, sagte damals Gründer Daniel Ek. Denn der Börsengang sei keine „pompöse“ Sache, er habe großen Respekt für die New Yorker Börse. Mitte 2020 überstieg die Spotify erstmals den ursprünglichen Preis von 165 Dollar, im Februar 2021 hatte die Aktie dann einen Höchststand von 339 Dollar erreicht. Ende Februar 2022 folgte die Ernüchterung: Der Aktienwert fiel mit 136 Dollar erstmals unter den Wert der IPO. Als Gründe für diesen Sturz galten die anhaltende Unsicherheit aufgrund der starken Inflation, die globale Instabilität, aber auch die Kritik an Spotify, politischen Podcasts eine Plattform zu bieten, die Falschinformationen verbreiten. Aktuell hat sich die Stimmung gegenüber dem Streamer verbessert und die Spotify-Technology-Aktie konnte mit einem Anstieg auf 263 Dollar (Stand: April 2024) ein neues Drei-Jahres-Hoch erreichen und den Kurs vom November 2021 einstellen. Die Aktie befinde sich laut Börsenmeldungen in einem langfristigen Aufwärtstrend und habe seit 2023 um 182,91 % an Wert gewonnen. (sg)

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