Halbleiterindustrie: Indien und China holen auf

06.09.2024

Marcus Weyerer, CFA, Senior ETF Investment Strategist, EMEA / Foto: © EMEA

Aus wirtschaftlicher Sicht hat die Halblei­terindustrie einen gigantischen Einfluss. Zum Beispiel wurde der Wert des glo­balen Halbleitermarktes 2022 auf rund 573,44 Mrd. USD geschätzt, und es wird prognostiziert, dass sich diese Zahl bis 2029 auf 1,38 Bio. USD erhöhen wird. Dies wäre eine jährliche Wachstumsrate (Com­pound Annual Growth Rate, CAGR) von 12,2 %, womit der Markt fast doppelt so schnell wachsen würde wie die wachstums­stärksten Volkswirtschaften. Zuletzt wurde dieses Wachstum vor allem durch die steigende Nachfrage nach elektronischen Geräten und durch die Fortschritte bei KI und maschinellem Lernen vorangetrieben, da hierfür eine enorme Rechenleistung benötigt wird. In den einschlägigen Sektoren hat das zu Höhenflügen der Aktienkurse geführt.

Das Land ist eines der führenden Länder in dem sich rasch entwickelnden Bereich der KI-Anwendungen. Laut Umfragedaten verfolgen 70 % der indischen Unternehmen KI-Projekte, die entweder bereits operativ genutzt werden oder sich aktuell in der Pilotphase befinden. Damit spielt das Land in der gleichen Liga wie die USA, Singapur und Großbritan­nien. Weltweit liegt der Durchschnitt bei nur 49 %, unter den Nachzüglern sogar nur bei 36 %.

Natürlich lässt sich kein Bild des globalen und asiatischen Halbleiter-Ökosystems zeichnen, ohne China zu erwäh­nen. Als die USA im Jahr 2022 den Export von hochmodernen Chips und der fortschrittlichsten Ausrüstung für die Chipproduktion nach China einstellten, setzten chinesische Unternehmen alles daran, anderswo so viel zu kaufen, wie sie nur konnten: Die Importe von Lithographieanlagen stiegen um 450 %, und japanische Ausrüstungshersteller verzeichneten eine außeror­dentlich hohe Nachfrage. Doch schon im Jahr 2023 stammten schätzungsweise 14 % der für die chinesische Chipproduktion benö­tigten Ausrüstung aus inländischen Quellen. Diese Zahl ist zwar noch gering, entspricht jedoch einer Verfünffachung innerhalb von nur fünf Jahren.

Das Land hat auch in anderen Bereichen Fortschritte gemacht. So herrschte zwar im vergangenen Jahr ein Mangel an Systemen für die Extrem-Ultraviolett-Lithographie (EUV-Lithographie), denn diese werden praktisch ausschließlich von ASML hergestellt und kön­nen aufgrund der US-Sanktionen nicht nach China exportiert werden. Trotzdem konnte Huawei, in Zusammenarbeit mit SMIC, den 7-Nanometer-Chip Kirin 9000S vorstellen. Laut der Financial Times waren viele Branchenexperten und US-Regierungsvertreter ver­blüfft darüber, dass es China allen Widrigkeiten zum Trotz gelungen ist, ein hochentwickeltes Produkt herzustellen. Es wird vermutet, dass SMIC dabei Ausrüstung für die Tief-Ultraviolett-Lithographie (DUV-Lithographie) einsetzte, die weniger präzise und damit auch weniger effizient ist als EUV-Systeme.

Die Produktion dürfte daher länger dauern und es wird mehr Ausschuss anfallen, doch es gelang dem Unternehmen, den Chip herzu­stellen. Im Jahr 2024 berichtete das Technologie-Beratungsunternehmen TrendForce, dass China mithilfe von DUV-Lithogra­phiesystemen möglicherweise bereits in die Massenproduktion von 5-Nanometer-Chips eingestiegen ist. Sein Produktionsprozess ist allerdings schätzungsweise 40 % bis 50 % teurer als der Branchenstandard von TSMC, und die Ausbeuten dürften um etwa zwei Drit­tel geringer ausfallen als bei den fortschrittlichsten Systemen. Doch wenn es um kritische Technologie geht, sind wirtschaftliche Aspekte für die chinesische Regierung wahrscheinlich nicht der alles entscheidende Faktor. Beachtenswert ist zudem, dass China auch mit Technologien außerhalb der traditionellen Halbleiterfertigung experimentiert. Ende 2023 gaben chinesische Wissenschaftler von der Tsinghua University die Entwicklung eines rein analogen KI-Chips (ACCEL) bekannt, der Lichtsignale anstelle von Elektrizität nutzt und bis zu 3.000-mal schneller sein könnte als der berühmte A100 von NVIDIA. Mögliche KI-Anwendungen für den photoni­schen Chip sind unter anderem Bilderkennung, die Verarbeitung natürlicher Sprache und das autonome Fahren. Natürlich befin­den sich diese Anwendungen noch in der Experimentierphase, doch in einer Zeit, in der sich das Mooresche Gesetz seinen physikali­schen Grenzen zu nähern scheint, wird daran eines deutlich: Die Innovation in diesem Bereich schreitet unvermindert voran.

Marktkommentar von Marcus Weyerer, CFA, Senior ETF Investment Strategist, EMEA Franklin Templeton ETFs.