Greiffbar – Investments zum Anfassen

01.07.2022

Volker Schilling, Gründer und Mitglied des Vorstandes der Greiff capital management AG / Foto: © Greiff capital management AG

Welche Themen waren diese Woche am Finanzmarkt relevant?

Auffälligkeiten

Die Bilanz des ersten Halbjahres 2022 fällt an den Kapitalmärkten ernüchternd aus. Egal ob Aktien, Anleihen, Gold, Kryptos oder alternative Anlageklassen: Nahezu alles im roten Bereich. Auffällig ist der Gleichlauf aller Anlageklassen mit hohen Korrelationen. Global betrachtet ist es das schlechteste erste Halbjahr seit 52 Jahren. Und noch etwas fällt dabei auf: Trotz der desaströsen Entwicklung und miserablen Stimmung ist bisher keine Panik aufgekommen.

Einschlägige Parameter wie VDAX und VIX lassen den angstgetriebenen Sell-off noch missen. Es stellt sich daher für alle die entscheidende Frage: Kommt der Ausverkauf erst noch oder behalten alle einen kühlen Kopf? Definitionsgemäß kann man zumindest attestieren, dass es jetzt einige Bärenmärkte gibt, die mehr als 20 % verloren haben. An der Spitze stehen dabei die Technologie-Indices wie Nasdaq Composite oder Nasdaq 100. Auffällig sind aber auch die Bestperformer im ersten Halbjahr: Natural Gas mit 80 % Zuwachs oder Brent Öl mit über 50 % Wertentwicklung. Kurzum: Energie hui, Technologie pfui!

Ausfälligkeiten

Der Anstieg bei den Energieträgern kommt ja nicht von ungefähr. Russland als größter Lieferant von Gas ist die „persona non grata“ der Konferenz- und Verhandlungstische geworden. Egal ob G7, NATO oder das Notenbankertreffen diese Woche, überall spricht man über, aber nicht mit Russland. Der Ukraine-Krieg hat Russland mehr isoliert als dies in den heißesten Phasen des „Kalten Krieges“ je der Fall war. Und die viel beschworene Vertragstreue russischer Energielieferungen auch über Konflikte hinweg hat sich aktuell nicht bestätigt. Russland wurde wirtschaftlich und monetär zumindest vom westlichen Finanzsystem isoliert und betreibt daher umgekehrt die Einstellung von Verpflichtungen.

Dazu gehört diese Woche auch die Zinszahlungen von russischen Anleihen in US-Dollar. Da man von russischer Seite keinen Zugriff mehr auf westliche Devisen wie den US-Dollar hat, kann man auch seine Rechnungen nicht mehr in US-Dollar begleichen. Man sitzt zwar auf einem Berg von Gold und Rubel, wäre damit also faktisch zahlungsfähig, aber da man nicht konvertieren kann, ist man zahlungsausfällig. Wer Zinsen und Schulden nicht zahlt, gilt damit als insolvent. Kurios diese Ausfälligkeit, die nicht einmal von den Ratingagenturen ausgerufen werden durfte, da diese aufgrund Sanktionen die Bonität nicht mehr bewerten dürfen, sondern die US-Regierung die Pleite Russlands verkündete. Damit stellt sich die Frage, wer hier wem gegenüber ausfällig wurde.

Anfälligkeiten

Der neue Ost-West-Ost-Konflikt mit Russland und China zeigt bisher nur eines: Die globale Wirtschaft ist durch die Globalisierung anfällig geworden. Anfällig, da eine jahrelange Entspannungspolitik und ihre Friedensprämie dafür gesorgt haben, dass die Wirtschaft keine Redundanzen mehr vorhält. Der berühmte Sack Reis, der am anderen Ende der Welt umfällt, ist eben nicht mehr Synonym für ein unwichtiges Ereignis, sondern unmittelbare Bedrohung für die Versorgung am gegenüberliegenden Ende der Welt. Fällt Gas aus, fällt die Industrie aus (Stichwort BASF), fallen die Versorger aus (Stichwort Uniper), fällt die Heizung aus (Stichwort Konsument), fällt die Kaufkraft aus (Stichwort Rezession), fällt der Wohlstand aus (Stichwort Sparer und Anleger). Anfällig ist sie geworden, unsere globale Wirtschaft. Anfällig damit auch die Stimmung an den Börsen, die zwischen Hoffnung und Weltuntergang balanciert.

Ihr Volker Schilling

Kolumne von Volker Schilling, Gründer und Mitglied des Vorstandes der Greiff capital management AG