Gegen den Strom

15.06.2015

Viele Anleger meiden festverzinsliche Papiere der Emerging Markets, weil sie in der gegenwärtigen Konstellation mit steigenden Zinsen und einem insgesamt aufwertenden Dollar als unvorteilhaft angesehen werden, vor allem wenn sie auf die exotischen lokalen Währungen lauten. Das ist nicht gerechtfertigt, meint Andrew Stanners, Investment Manager beim britischen Vermögensverwalter Aberdeen.

„Die meisten Marktteilnehmer überschätzen die Folgen des kommenden Zinsanstiegs in den USA", grenzt Stanners seine Position von der konventionellen Sicht ab, deren Grundlinie lautet: Die straffere Geldpolitik der USA mit steigenden Zinsen und knapperer Liquidität zieht die Zinsen insgesamt nach oben. Der lange Zeit aus den USA und Europa in die Emerging Markets laufende Mittelzufluss trocknet aus, kehrt sich unter Umständen sogar um. Damit entsteht ein Abwertungstrend für die Währungen der Emerging Markets und eine fühlbare Belastung für die Konjunktur von den steigenden Zinsen her, die das Wachstum in den Emerging Markets bremst. Hinzu kommt der schwächere Trend der Rohstoffpreise, der die Emerging Markets ebenfalls überdurchschnittlich schwächt, weil der Rohstoffanteil in ihrem Produktionsportfolio und ihren Exporten höher ist als in den Industrieländern.

Die Konsequenzen aus dieser Analyse hatten die Strategen des US-Investmenthauses BlackRock schon zu Beginn des Jahres in ihrem Ausblick dargestellt: Grundsätzlich sollte demnach anhand von Kriterien wie des Defizits in der Leistungsbilanz oder den verfügbaren Währungsreserven schärfer zwischen stabileren und verwundbaren Ländern unterschieden werden. Die Anlage sollte zudem auf die so genannten Hartwährungsanleihen der Emerging Markets konzentriert werden, während die lokalen Währungen eher gemieden werden sollten. Dieses konventionelle Konzept ist an sich plausibel. Die Frage ist nur, ob die Voraussetzungen tatsächlich so stimmen. Da ist zunächst die Frage, wie viel Liquidität global zur Verfügung steht und wohin sie fließt. Zwar hat die US-Notenbank Fed ihr Ankaufprogramm für Anleihen mittlerweile zurückgefahren. Dafür hat die EZB ihr Programm erst vor wenigen Wochen gestartet und die Japaner setzen ihre aggressive quantitative Lockerung nicht nur durch den laufenden Ankauf von Staatsanleihen fort, sondern auch durch bestimmte Eigenkapitaltitel wie REIT-Anteilen. Das erwartete Ausmaß der Straffung in den USA, vor allem die Konsequenzen für die Märkte der Emerging Markets, dürfte daher nach Ansicht des Aberdeen-Researchs übertrieben sein, wie Stanners erläutert.

Unterm Strich bleibt es also dabei, dass zwei der großen drei Notenbanken viel Liquidität in die Märkte drücken.

Und selbst die befürchtete Umkehr der Fließrichtung dieser Geldschwemme ist nicht mehr so naheliegend: Die Märkte in den Industriestaaten sind sehr hoch bewertet, die Aktienkurse sind schon längst „durch die Decke" gegangen und die Renditen der Anleihen bewegen sich immer noch im mikroskopischen Bereich. Umgekehrt sind aus Stanners Sicht die Belastungen der Emerging Markets längst in den Kursen der Währungen enthalten. Die Kursverläufe von indischer Rupie, indonesischer Rupiah, brasilianischem Real, chilenischem Peso, südafrikanischem Rand oder türkischer Lira zeigen übereinstimmend einen Abwertungsschritt Mitte 2013. Stanners verweist zudem auf Erfolge der Wirtschaftspolitik: Die meisten Emerging Markets haben in den letzten Jahren ihre Reserven aufgestockt und die Defizite in den Griff bekommen. Staaten wie Indien, Polen oder Chile begegnen den neuen Problemen in einer vergleichsweise guten Verfassung, wie sich aus der Bewertung durch die Aberdeen-Analysten ergibt. Vor allem aber bieten sie nicht nur nominal einen beachtlichen Zinsvorsprung, sondern auch dann, wenn die laufende Inflation herausgerechnet wird.

Unterm Strich bieten Anlagen in lokaler Währung auch nach der Inflationsbereinigung sehr attraktive Renditen, die ein Vielfaches dessen erreichen, was etwa Bundespapiere bringen. Die Risiken der Währungen bleiben aufgrund verhältnismäßig guter Daten und günstiger Bewertungen überschaubar. Zudem können die Hartwährungsanlagen der Emerging Markets zum Abfedern der Risiken eingesetzt werden. Das ergibt zusammengenommen einen Baukasten für chancenreiche Rentenportfolios mit vergleichsweise moderaten Risiken, vor allem wenn sie mit einem von Benchmarks unabhängigeren Absolute Return-Konzept strukturiert werden.

Kurzinterview

Wachstumsimpulse durch Reformen

Andrew Stanners, Investment Manager Aberdeen Asset Management

finanzwelt: Können möglichst hohe Investitionen und ein großes Potenzial an Arbeitskräften allein schon Entwicklungserfolge der Emerging Markets garantieren?

Stanners: Nein, da muss auch die Politik mitziehen. Wir erwarten da in Anlehnung an Jules Vernes Reise um die Welt in 80 Tagen (die mit einer Wette im Reformklub startet) von unserem Reformklub des 21. Jahrhunderts, das die fünf zentralen Emerging Markets Mexiko, Brasilien, Indien, Indonesien und China starke Wachstumsimpulse durch ihre jeweiligen Reformen auslösen.

finanzwelt: Worum geht es bei diesen Reformen?

Stanners: Es geht letztlich immer darum, Potenziale zu aktivieren und den eigenen Stärken Spielraum zu verschaffen. Einige Beispiele zur Verdeutlichung: In China ist etwa eine umfassende Reform der kommunalen Finanzen nötig geworden: Die Schulden der Kommunen werden aus den informellen Schattenbanken herausgezogen und ein großer Teil in regulierte, handelbare Wertpapiere getauscht, mit denen ein neuer Finanzmarkt entsteht. In Indien wird die Beseitigung von administrativen Hindernissen für Newcomer und ausländische Anbieter eine wichtige Rolle spielen. Indonesien geht es zunächst um die Beseitigung verzerrender, sozial ineffektiver, aber für den Staat untragbar teurer Subventionen für Treibstoff. Brasilien arbeitet dagegen an einer Reform von Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Sowohl China als auch Mexiko liberalisieren derzeit ihre Bankensysteme. Mexico arbeitet zudem an einer Bildungsreform, die mehr Humankapital und langfristig höhere Produktivität bringen wird. (mk)

Printausgabe 03/2015