„Für das Gesamtjahr 2024 erwarten wir ein Beitragsplus von 2,8 %“

07.11.2024

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer der GDV / Foto: © GDV

Schwache Konjunktur, Klimawandel und zunehmende Regulierung: 2024 stellt die Versicherer vor einige Herausforderungen. Dennoch erwartet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) für das Gesamtjahr über alle Sparten hinweg ein Beitragsplus. Im Interview spricht Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des GDV, über zentrale Themen der Versicherungswirtschaft.

finanzwelt: Herr Asmussen, wo sehen Sie aktuell die zentralen Trends und Entwicklungen im Versicherungsjahr 2024?
Jörg Asmussen» Die großen Themen der Gesellschaft sind auch die großen Themen der Versicherungswirtschaft. Allen voran der demografische Wandel, der fortscheitende Klimawandel und die nachhaltige Transformation sowie die Digitalisierung. Die Entwicklung zur Datenökonomie eröffnet den Versicherern neue Möglichkeiten, Risiken zu bemessen und Prämien zu kalkulieren sowie mit der Absicherung von Cyberrisiken auch ein neues Geschäftsfeld.

finanzwelt: In welchen Sparten gibt es das größte Wachstum? Wo geht die Nachfrage zurück?
Asmussen» Für 2024 erwarten wir über alle Sparten hinweg ein Beitragsplus von 2,8 %. In vielen Bereichen der Schaden- und Unfallversicherung sorgt die Anpassung an die Inflation im laufenden Jahr für höheres Beitragswachstum. Hier rechnen wir mit einem Beitragsplus von 7,8 %. Für die Lebensversicherung einschließlich Pensionskassen und Pensionsfonds gehen wir von einem Beitragsrückgang um 2,6 % aus. Die schwache Konjunktur und die nur zögerlich sinkenden Zinsen sind weiter Gegenwind für das Geschäft der Lebensversicherer.

finanzwelt: Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die Versicherer? Wo gibt es die größten Chancen?
Asmussen» Ein Beispiel ist die Regulierung. Die Finanzwirtschaft ist traditionell stark reguliert. Auf EU-Ebene werden die meisten unserer regulatorischen Rahmenbedingungen geschaffen. Größte Herausforderung für die neue EU-Kommission und EU-Parlament ist, einen regulatorischen Rahmen zu schaffen, der ein innovations- und kundenfreundliches Umfeld ermöglicht, das die Unternehmen in ihrer Arbeit nicht lähmt. Die überbordenden Berichtspflichten der letzten Jahre bewirken leider manchmal das Gegenteil. Etwa die Nachhaltigkeitsberichterstattung der CSRD-Richtlinie. Vor allem kleinere Versicherungen werden oft überfordert. Gleiches gilt für die DSGVO und der Umsetzung in Deutschland.

finanzwelt: Der digitale Versicherungsvertrieb hat im vergangenen Jahr deutlich zugelegt, wie eine Sonderabfrage des GDV ergeben hat. Gleichzeitig bleibt die persönliche Beratung und Unterstützung wichtig. Welche größeren Unterschiede gibt es bei den einzelnen Versicherungen? Wie bewerten Sie das?
Asmussen» 2023 wurden insgesamt 19,1 % aller Versicherungen im Privatkundengeschäft digital abgeschlossen. Ein Jahr zuvor lag der Anteil bei 16,7 %. Die Entwicklung spiegelt den Trend der Digitalisierung wider. Mit einem Viertel aller Neuverträge, werden Kfz-Versicherungen am häufigsten digital abgeschlossen. Bei existenziellen Risiken und Vorsorge-Produkten, wie Lebensversicherungen bleibt persönliche Beratung wichtig. Hier stagniert der digitale Abschluss bei knapp 3 %.

finanzwelt: Die Prämien bei der Kfz-Versicherung sind seit einiger Zeit stark gestiegen. Was sind die Gründe dafür?
Asmussen» Die Kfz-Versicherer verzeichneten 2023 einen Verlust von über 3 Mrd. Euro und erwarten für dieses Jahr einen Verlust von mindestens 2 Mrd. Euro. Das liegt vor allem an steigenden Kosten für Reparaturen. Ein durchschnittlicher Sachschaden in der Kfz-Haftpflichtversicherung eines Pkw kostete 2023 etwa 4.000 Euro, 2014 waren es noch 2.500 Euro. Besonders teuer ist die Reparatur von Elektroautos, wo teure Antriebsbatterien und begrenzte Reparaturmöglichkeiten die Kosten in die Höhe treiben.

finanzwelt: Ende Juli wurde das CSRD-Umsetzungsgesetz verabschiedet. Die Versicherer rechnen mit deutlich höheren Einführungskosten. Was sind die Haupt-Kritikpunkte und was sollte sich Ihrer Meinung nach ändern?
Asmussen» Die Bundesregierung schätzt den einmaligen Erfüllungsaufwand auf 846 Mio. Euro für 14.600 berichtspflichtige Unternehmen. Das wären etwa 58.000 Euro pro Unternehmen. Für den Versicherungssektor rechnen wir im Schnitt mit 4- bis 8-mal höheren Kosten. Wenn die Bestrebungen zum Bürokratieabbau erfolgreich sein sollen, dürfen wir nicht erst bei der Umsetzung europäischer Vorgaben ansetzen, sondern bei den europäischen Vorgaben selbst. Wir zählen auf die EU-Kommission und ihr Ziel, Reporting-Pflichten um 25 % zu reduzieren.

finanzwelt: Wie ist denn der aktuelle Stand zum Thema Elementar-Pflichtversicherung?
Asmussen» Wir bedauern, dass sich Bund und Länder im Juni nicht auf eine Lösung einigen konnten. Die vom Justizministerium skizzierte Angebotspflicht wäre aus unserer Sicht ein akzeptabler Kompromiss gewesen. Es ist gut, dass weiter diskutiert wird. Denn eine Pflichtversicherung allein verhindert keinen einzigen Schaden. Vielmehr mangelt es an Prävention. Die Defizite treten immer deutlicher zutage und werden durch den Klimawandel an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Aus unserer Sicht braucht es ein Gesamtkonzept aus Prävention, Versicherungsschutz und ein finanzielles Sicherheitsnetz für großen Naturkatastrophenfälle.

finanzwelt: Wie ist Ihr Ausblick für das Versicherungsjahr 2025?
Asmussen» Für 2025 gehen wir von einem Anstieg der nominalen Beitragseinnahmen zwischen 3 und 5,5 % aus. Das stimmt mich vorsichtig optimistisch. Die Normalisierung des Inflationsgeschehens könnte Anlagen mit langen Laufzeiten wieder attraktiver machen und das Geschäft der Lebensversicherer ankurbeln. Im Schaden- und Unfallbereich bleiben nachgelagerte Anpassungen an die hohen Teuerungsraten der letzten Jahre ein zentraler Faktor bei den Veränderungen der Beitragseinnahmen. Hier rechnen wir mit einem Plus von 5 bis 7 %. In der Lebensversicherung dürfte die Talsohle 2024 durchschritten sein. (mho)