Europas politischer Zerfall

25.01.2016

Stefan Wallrich

In vielen europäischen Ländern sind rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch. Im Süden gewinnen die Linken dagegen zunehmend an Macht. Für die Stabilität des Euros ist das Auseinanderdriften der Parteienlandschaft alles andere als förderlich.

Fast wäre es der ganz große Triumpf des Front National geworden. Mit 27,4 Prozent der Stimmen konnten die Rechtsextremen unter der Führung von Marine Le Pen bei den französischen Regionalwahlen Mitte Dezember dann aber doch keinen einzigen der 13 Wahlkreise gewinnen. Dennoch zeigen die jüngsten Abstimmungen in Frankreich – aber auch in vielen anderen Ländern Europas – den zunehmenden Einfluss rechtspopulistischer Politik.

So brachten es die Wahren Finnen bei den letzten Parlamentswahlen mit ihrer europakritischen Haltung auf 17,7 Prozent der Stimmen, und die Dänische Volkspartei konnte im Juni vergangenen Jahres sogar 21,1 Prozent (plus 8,8 Prozentpunkte) auf sich vereinen. In Österreich bescheinigen aktuelle Umfragen der asylkritische FPÖ derzeit einen Stimmenanteil von 34 Prozent Geert Wilders würde mit seiner islamkritischen Partei für die Freiheit (PVV) in den Niederlanden 23,5 Prozent erreichen, und hierzulande konnte die Alternative für Deutschland (AfD) ihre Werte bei der „Sonntagsfrage“ inzwischen auf elf Prozent steigern, usw., usw.

Im Fokus der Rechtspopulisten Europas steht momentan eindeutig die Asylpolitik. Aber auch bezüglich der Europäischen Union sowie des Euros ist ihre Haltung alles andere als integrativ. Fast alle Parteien der besagten Couleur setzen sich für eine deutliche Verringerung des Einflusses aus Brüssel ein. Ein Austritt aus dem Euro wird in der Regel mehr oder weniger vehement gefordert. So gehört zur Programmatik der AfD beispielsweise eine „geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes“, wobei die Wiedereinführung der DM kein Tabu sein dürfe. In den südlichen Ländern Europas gewinnen dagegen die Linksparteien immer mehr Macht.

Am Euro lassen sich die Folgen des politischen Auseinanderdriftens schon deutlich ablesen. Notierte die Gemeinschaftswährung im Mai 2011 noch bei annähernd 1,50 US-Dollar, sind es derzeit weniger als 1,10 US-Dollar je Euro. Natürlich werden Wechselkurse zu einem großen Teil vom Wirtschaftswachstum innerhalb der jeweiligen Währungsräume sowie der Höhe der Zinsen und ihrer Entwicklung beeinflusst. Parallel zum Verfall des Euros hat aber auch dessen Bedeutung im internationalen Zahlungsverkehr deutlich abgenommen. Lag sein Anteil laut Swift (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) Anfang 2012 noch bei 44%, waren es zwei Jahre später nur noch 33,5 Prozent Inzwischen ist der Anteil der Gemeinschaftswährung sogar auf 28,6 Prozent zusammengeschmolzen. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass die Aufnahme des Yuan in den Währungskorb des Internationalen Währungsfonds zum Oktober 2016 insbesondere zu Lasten der europäischen Währung gehen wird.

Grundsätzlich ist ein Auseinanderbrechend der Eurozone oder eine Aufspaltung in zwei oder drei Währungsräume auch auf längere Sicht extrem unwahrscheinlich. Die Verwerfungen an den Kapitalmärkten sowie die sonstigen Konsequenzen wären zu gravierend, als dass dieses Risiko eingegangen werden könnte. Zu einem Wiedererstarken der politischen Mitte Europas und einem Vorantreiben der Integration wird es so schnell aber auch nicht kommen. Hierfür scheint momentan der Mut, der Wille und die Einigkeit zu fehlen.

Fast alles spricht vielmehr für ein „Durchwurschteln wie bisher“. Agiert, reagiert und regiert wird von einer Krise zur nächsten mit unterschiedlichen europäischen Koalitionen. Dabei sehen sich die „etablierten“ Parteien einem wachsenden Druck von rechts und links ausgesetzt, was sie immer stärker dazu verleitet, auf kurzfristige Stimmungen und Opportunitäten ihrer Wählerschaft einzugehen. Der Euro wird schleichend an Bedeutung (und Wert) verlieren. Noch stärker als im Frühjahr vergangenen Jahres könnte es bei gegebenem Anlass zudem dazu kommen, dass ein Austritt einzelner oder sogar mehrerer schwacher Länder aus der Eurozone vom Kapitalmarkt wieder für denkbar gehalten wird. Die Folgen für die Kreditwürdigkeit und damit verbunden die Zinskosten sowie die politische und wirtschaftliche Stabilität der betroffenen Staaten wären gravierend.

_Autor: Stefan Wallrich, Vorstand der Wallrich Asset Management AG

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