Europa meistert die Krise

21.05.2014

Alexandra Hartmann

„Das Schlimmste in der Krise mag hinter uns liegen, aber das ist keine Einladung zur Selbstzufriedenheit", sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn vor wenigen Wochen. Ob dem so ist, wollte finanzwelt von Alexandra Hartmann, Fondsmanagerin des Fidelity Euro Blue Chip Fund, erfahren.

finanzwelt: Die Europawahlen stehen vor der Tür. Sind die westlichen Länder tatsächlich zurück auf dem Wachstumskurs oder ist es noch zu früh, die Erholung zu feiern?

Hartmann: Es gibt viele Anzeichen dafür, dass eine Erholung ansteht: Die Bilanzen der meisten Banken sind repariert. Sie sind bereit, Kredite zu vergeben. Das ist ein sehr guter Indikator für den Aktienmarkt und das zu erwartende Bruttosozialproduktwachstum der nächsten Quartale. Das Verhältnis von Investitionen zu Konsum ist auf einem 20-Jahres-Tief, obwohl der Konsum nicht hoch war. Auch hier sehen wir nach einer Bodenbildung ein Zeichen der Aufwärtsbewegung. Also, es ist meiner Meinung nach nicht zu früh, sich in Aktienfonds zu engagieren.

finanzwelt: Von der Erholung bis zur völligen Genesung dauert es etwas. Wie lange könnte dieser Prozess noch anhalten?

Hartmann: Das Problem ist die sehr hohe Staatsverschuldung und damit einhergehend die Sparpolitik und folglich die hohe Arbeitslosigkeit. Andererseits dürfen wir aber nicht vergessen, dass die Bilanzen europäischer Firmen zum Jahresende 2012 rund 849 Mrd. Euro Cash-Bestände aufwiesen und diese Summe im Laufe des Jahres 2013 noch gestiegen ist. Zudem wird der überwiegende Teil der Gewinne europäischer börsennotierter Unternehmen nicht in Europa erzielt. Man muss also klar zwischen der Erholung der Unternehmen und der Genesung der Staaten unterscheiden.

finanzwelt: Deutschland wird als Zugpferd innerhalb der Eurozone gepriesen. Zu Recht?

Hartmann: Ich denke schon. In Deutschland herrscht praktisch Vollbeschäftigung, unsere Bevölkerung wächst – dank Zuwanderung – aktuell wieder und die gegenwärtigen Zinsen sind für Deutschland viel zu niedrig. Sollte der Euro schwächer werden, wäre auch das positiv für Deutschland als exportorientierte Volkswirtschaft.

finanzwelt: Kommt Südeuropa allmählich aus der Krise?

Hartmann: Ja, Südeuropa kommt aus der Krise, aber in unterschiedlichem Maße. Spanien und auch Portugal werden dieses Jahr im Durchschnitt der Eurozone wachsen. Italien aber kämpft noch sehr damit, die nötigen Reformen anzugehen. Griechenland stabilisiert sich. Die unterschiedlichen Dynamiken resultieren zum Teil aus den sehr unterschiedlichen Ansätzen zu strukturellen Reformen. Diese aber sind eine unbedingte Voraussetzung für eine wiederkehrende Konkurrenzfähigkeit. Der Weg aus der Krise wird für Südeuropa durch den hohen Schuldenstand noch lang sein.

finanzwelt: Trotz Börsenhochs müssen Sie attraktive Papiere (Blue Chips) aufspüren. Sind diese denn noch unterbewertet?

Hartmann: Die Betrachtung eines Börsenhochs ist eine absolute Betrachtung, die sich an der Historie der Börsenkurse orientiert. Die Bewertung aber bezieht sich unter anderem auf die Gewinne und den Cashflow von Unternehmen, sie ist also eine relative Betrachtung. Die Aktienmärkte haben schon eine Rallye gesehen, die die Märkte von unterbewertet auf eher fair bewertet bewegt haben. In recht vielen Fällen aber wird kaum etwas für das zukünftige Wachstum der Firmen bezahlt. Da liegt das Potenzial. (ah)

Interview mit Alexandra Hartmann - Printausgabe 03/2014