Europa als Frosch im heißen Wasser

04.10.2024

Mark Dowding - Foto: © RBC BlueBay AM

Die Ereignisse im Nahen Osten haben die Marktteilnehmer in der vergangenen Woche in Aufruhr versetzt. Der eher moderate Anstieg der Ölpreise hat aber gezeigt, dass ein regionaler Konflikt wohl nur begrenzte Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben wird.

Die Renditen von US-Staatsanleihen sind derweil gestiegen. Jerome Powell, Präsident der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), hat angedeutet, dass sich die Fed mit Zinssenkungen in Richtung des neutralen Niveaus Zeit lassen könnte. Dies hat die Annahme bestärkt, dass die Währungshüter auf ihren nächsten beiden Sitzungen im November und Dezember die Zinsen um jeweils 25 Basispunkte senken werden, sofern sich die Wirtschaftsdaten nicht wesentlich verschlechtern. Derzeit deuten die meisten Daten weiterhin darauf hin, dass die Konjunktur relativ robust bleibt.

Da sich die US-Notenbank sehr stark auf die Arbeitsmarktdaten konzentriert, erwarten die Marktteilnehmer gespannt den heutigen US-Arbeitsmarktbericht. Ein Nettozuwachs von weniger als 50.000 Arbeitsplätzen im September und ein Anstieg der Arbeitslosenquote auf 4,4 Prozent könnte die Meinung verstärken, dass die Fed im November möglicherweise aggressivere Zinssenkungen vornehmen wird.

Wir sind der Ansicht, dass die Märkte eine zu starke geldpolitische Lockerung einkalkulieren, da die Wirtschaftsdaten aus unserer Sicht vorerst stabil bleiben. Wir erwarten einen Anstieg der längerfristigen Treasury-Renditen und eine Versteilerung der Renditekurve angesichts der anhaltenden Besorgnis über die US-Verschuldung – unabhängig vom Ausgang der Wahlen im November.

In Europa wurde in der vergangenen Woche viel über die jüngsten Vorschläge von Mario Draghi zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Malaise auf dem Kontinent diskutiert. Es wird jedoch immer deutlicher, dass angesichts der Lethargie in den Hauptstädten der Europäischen Union (EU) und mangels klarer Führung aus Frankreich oder Deutschland ohne einen externen Schock wahrscheinlich nicht viel geschehen wird. In diesem Zusammenhang wurde darüber gesprochen, ob die EU der „Frosch im heißen Wasser“ sei. Es besteht die Befürchtung, dass der Moment der Erkenntnis zu spät kommen könnte, um noch viel an der Situation zu ändern.

Der neue japanische Premierminister Shigeru Ishiba hatte in der vergangenen Woche einen etwas holprigen Start in seine Amtszeit. Die Aktienkurse fielen in Reaktion auf seine Wahl, erholten sich jedoch aufgrund von Äußerungen, dass keine Änderung der Geldpolitik bevorsteht. Diese Aussagen führten dazu, dass japanische Staatsanleihen einen Teil der Gewinne aus den vergangenen Wochen halten konnten, obwohl die Renditen von US-Staatsanleihen stiegen.

Unserer Meinung nach bezogen sich Ishibas Äußerungen jedoch wohl nur auf die bevorstehende Sitzung der Bank of Japan im Oktober. Wir hatten bereits erwartet, dass eine weitere geldpolitische Straffung auf Januar verschoben wird. Daran hat sich nicht viel geändert. Die Zinswende in den USA hat jedoch dazu geführt, dass sich der Yen gegenüber dem US-Dollar auf über 146,5 abgeschwächt hat. Kurzfristig könnte sich dieser Trend noch etwas fortsetzen. Wir haben derzeit keine Position in der japanischen Währung. Eine Bewegung in Richtung 150 könnte jedoch ein attraktiver Zeitpunkt für den Aufbau einer Long-Position sein.

Die US-Wahlen rücken näher und dürften ein noch größeres Risiko für die Kapitalmärkte darstellen als die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten. Das Rennen selbst ist nach wie vor sehr eng. Der republikanische Kandidat Donald Trump vertritt den Standpunkt, dass die Welt während seiner Zeit im Weißen Haus viel sicherer war als unter seinem Nachfolger. Es könnte sein, dass eine israelische Eskalation dem von Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident des Landes, favorisierten Kandidaten in die Hände spielt. Die Situation im Nahen Osten scheint beherrschbar. Sie erinnert jedoch daran, wie schnell Ereignisse eine Eigendynamik entwickeln können. Daher müssen wir die Entwicklungen weiterhin sorgfältig bewerten und unser Denken ändern, wenn die Lage es erfordert.

Marktkommentar von Mark Dowding, Fixed Income CIO bei RBC BlueBay Asset Management.