Es ist wichtiger denn je, den Vertrieb miteinzubinden

15.10.2018

Foto: © Sabrina Henkel, finanzwelt

finanzwelt: Jetzt haben wir schon über ein paar Produkte gesprochen. Und für viele Berater gilt: entweder BU oder nichts. Aber wenn der Kunde keine BU bekommt, was gibt es denn für Alternativen?

Schünemann: Es gibt die funktionale Invalidität oder die erweiterte Grundfähigkeitsversicherung, es gibt Körperschutzpolicen, Dread Disease, Erwerbsunfähigkeitsabsicherungen und Multischutzpolicen. Aber trotz aller Alternativen: Die BU ist immer noch das Flaggschiff und überlagert alle anderen Möglichkeiten, die dann beim Berater mitunter als vergleichsweise weniger hochwertig angesehen werden. Da muss die Branche sich öffnen und auf ein größeres Spektrum bei der Absicherung zugreifen.

Mischler: Wir haben sicherlich Zielgruppen, wo die BU finanziell, aber auch im Leistungsspektrum nicht ideal ist. Man muss individuell schauen, welche Absicherung die beste ist. Für körperlich Tätige spielen psychische Erkrankungen sicherlich weniger eine Rolle wie bei Managern oder Lehrern. Gerade bei Älteren werden die BU-Beiträge unerschwinglich. Wir müssen auch etwas in der Wahrnehmung ändern: Denn die Grundfähigkeitsversicherung darf nicht als das Downgrade zur BU gelten. Wichtig ist, die Arbeitskraftabsicherung transparenter zu machen. Und die Bedingungen. Zum Beispiel: kann nicht mehr als 5 kg heben oder kann nicht weiter als 400 Meter laufen. Das ist leichter zu verstehen und nachvollziehbarer als 49 % berufsunfähig oder 51 % berufsunfähig.

finanzwelt: Nur stehen die alternativen Absicherungen nicht im Fokus der Vermittler und gelten als Absicherung 2. Klasse. Ist das wirklich so?

Richartz: Ich glaube schon, dass derzeit ein Umdenken stattfindet. Zumal ein großes Potenzial brach liegt. Denn über 60 % aller Erwerbstätigen sind nicht gegen den Ausfall der Arbeitskraft abgesichert. Die erweiterte Grundfähigkeitsversicherung ist eine hervorragende Möglichkeit, diese Lücke zu schließen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist hervorragend.

Schünemann: Die Potenzialhebung ist noch deutlich am Anfang. Das Kollektiv wird nicht kleiner, sondern nur anders gestreut. Gerade der handwerkliche Bereich ist bei der BU deutlich unterrepräsentiert. Wir reden hier von Millionen Nichtversicherten. Und viele aus dieser Berufsgruppe haben überhaupt keine Chance, eine bezahlbare Berufsunfähigkeitsversicherung zu bekommen.

finanzwelt: Schade nur, dass sich die Versicherer durch immer spitzere Berufsgruppen und Risikoausschlüsse vom Solidarsystem verabschieden. Und viele fallen bei der Berufsangabe in eine gewisse Sippenhaft, denn sie üben technische Berufe am Computer aus, die in der Berufsgruppe der Versicherer aber noch unter körperlich tätiges Handwerk fallen. Allerdings ist eine Kalkulation des Risikos wohl anders nicht möglich, oder?

Markovic-Sobau: Wir haben ja dieselbe Thematik der Berufsgruppen im Krankentagegeld. Und gerade wenn Berufe uneindeutig, nicht zutreffend oder einfach nicht mehr zeitgemäß sind, nutzen wir Tätigkeitsbeschreibungen, um uns eine Vorstellung von der Tätigkeit und des damit verbundenen Risikos zu machen.

Mischler: Die Berufsgruppe ist genauso ein preisentscheidender Faktor für die Tarifgestaltung wie das Alter. Da würde auch keiner auf den Gedanken kommen, einen 20-Jährigen gleich zu versichern wie einen 60-Jährigen. Klar, man könnte Uni-Tarife machen. Aber wenn ich der einzige im Markt bin, der das tut, würde sich mein Kollektiv ganz schlecht entwickeln.

Schünemann: Es geht ja auch darum, dass ein Kollektiv leistungsfähig bleibt. Es ist doch keinem geholfen, wenn ein Versicherer jeden nimmt oder sich über den günstigen Beitrag Risiko einkauft und dann Jahre später im Leistungsfall diesen gar nicht mehr bedienen kann, weil man sich vollkommen verkalkuliert hat, da seinerzeit enorme Risiken zu billig eingekauft wurden.

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