Die Zinswende schlägt zurück

11.10.2023

Marc Decker. Foto: Quintet Private Bank

Wenn am 13. Oktober die größte US-amerikanische Bank, JP Morgan Chase, ihre Geschäftszahlen für das dritte Quartal vorlegt, dann werden wir auch ein erstes Indiz für die Stimmung der Investoren in Bezug auf Großbanken erhalten. Aktuell ist das Bild völlig uneinheitlich und die Stimmung der institutionellen Anleger mit Blick auf die Großbanken wankelmütig, denn die Gemengelage ist komplex.

So kam in der ersten Jahreshälfte mit der Pleite von US-amerikanischen Regionalbanken als auch der Notrettung der First Republic Bank durch JP Morgan Ungemach über den US-Bankensektor. Diese Unruhe war bis nach Europa spürbar und fand hier – im Zusammenwirken mit anderen Faktoren – ihren Ausdruck in der Notübernahme der Credit Suisse durch die UBS. Eine solche Situation hatten die Märkte seit der Finanzkrise nicht mehr erlebt. Umso erstaunlicher ist es, dass die größte Nervosität bald vergessen war, insbesondere in Europa, wo die Probleme der US-Banken weit weg erscheinen und die Credit Suisse als Einzelfall wahrgenommen wurde.

So entwickelte sich im Laufe des Jahres der europäische Bankensektor mit einem Plus von 20 Prozent seit Jahresbeginn deutlich besser als sein US-amerikanisches Pendant mit ca. -11%. Hier kam den europäischen Instituten auch die strengere Regulierung in Europa zu Gute, die von den Investoren als wirksames Sicherheitsnetz wahrgenommen worden sein dürfte.

Obwohl die steigenden Zinsniveaus dies- als auch jenseits des Atlantiks die Ertragssituation des Bankensektors mit deutlich ansteigenden Erträgen aus dem Zinsgeschäft, dem Brot- und Butter-Geschäft der Banken, den viel geschundenen Bankensektor wieder Auftrieb verleiht, trat hier ein anderes Problem zu Tage: das Management des Anlagebuchs von Banken. Je nach Geschäftsmodell und Liquidität investieren Banken in festverzinsliche Wertpapiere mit entsprechenden Zinsänderungsrisiken. Bei steigenden Zinsen verlieren diese Anlagen an Wert und generieren unrealisierte Verluste, was sich durch Bewertungsanpassungen auch auf die Bankenbilanzen niederschlägt. Im Falle der oben angesprochenen Regionalbanken ergaben sich hier so große (unrealisierte) Verlustpositionen kombiniert mit einem massiven Abfluss von Einlagen, dass diese Institute keine Refinanzierungsmöglichkeit am Kapitalmarkt mehr erhielten und in der letzten Konsequenz aufgrund von Liquiditätsengpässen zusammenbrachen. Der vielbefürchtete Bank Run auf die großen Institute blieb allerdings auch aufgrund der Intervention der US-Regierung aus.

Für JPMorgan scheint sich die Übernahme der First Republic Bank jedenfalls bis jetzt nicht als nachteilig erwiesen zu haben, was bereits die Q2-Zahlen der Bank zeigten. Nichtsdestotrotz bleibt das hohe Zinsniveau für die Banken aufgrund ihrer Anlagen und deren Zinsänderungsrisiko ein Thema.

Die Zinswende ist also mitnichten nur ein Segen für die Ertragslage, sondern kann sich auf die Bewertung gehaltener Vermögenswerte auch äußerst negativ auswirken. Zudem schlagen die Zinserhöhungen durch die Notenbanken in letzter Konsequenz auch auf die Unternehmen durch und können so zu vermehrten Zahlungsschwierigkeiten und damit zu einer verschärften Risikosituation bei den Banken führen. Da die Auswirkungen der Zinsanhebungen mit erheblicher Verzögerung in der Wirtschaft ankommen, dürften die ärgsten Folgen noch vor uns liegen. Investoren sollten die Risikosituation der Banken besonders wachsam verfolgen.

Stand heute blieben dem europäischen Bankensektor, abgesehen von der Credit Suisse, im bisherigen Jahresverlauf negative Ereignisse wie bei den US-amerikanischen Regionalbanken erspart und die Ertragssituation hat sich stetig verbessert, was sich eben auch in den Aktienkursen und den Ertragserwartungen widerspiegelt. Der Bankensektor in Europa ist so gefragt wie seit über 15 Jahren nicht mehr.

Nun jedoch könnte die Risikovorsorge nach Jahren der Auflösungen oder allenfalls moderater Zunahme für einige Adressen wieder ein zentraleres Thema werden. Zugleich setzt ein zunehmend scharfer Wettbewerb um Kundeneinlagen ein, was das Zinsergebnis belastet. Hinzu kommen die fortbestehenden Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch.

Je nachdem, wie stark sich potenzielle Belastungsfaktoren am Freitag in den Zahlen von JP Morgan niederschlagen, dürfte die Marktreaktion auch den Ton für die anstehende Veröffentlichung der Quartalszahlen vieler anderer Banken setzen. Investoren sollten genau hinsehen, wo die Bilanzen gesund und die Risikosituation fundamental unauffällig geblieben sind. Wer widerstandsfähig durch die nächsten Monate kommt, dürfte umso stärker in den nächsten Aufschwung gehen.

Marc Decker, Head of Direct Equities, Quintet Private Bank