Die unterdrückte Alternative

04.11.2024

Rolf Ehlhardt - Foto: © I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH

Die Börsen feiern den Beginn der Zinswende mit neuen Höchstkursen. Vergessen die große Gefahr der Eskalation der beiden Kriegsschauplätze in der Ukraine und in Nahost. Dass sich die Wirtschaften in Europa schwächeln, in den USA sich jüngst ebenfalls abschwächen, gilt als Hauptargument für weitere Zinssenkungen. Flankiert durch Maßnahmen der Regierung in China und die Wahlversprechen der beiden Kandidaten für die US-Wahl, deren Einlösung weiteres Wachstum hervorzaubern sollen.

Besonders bei einem totalen Wahlsieg (beide Kammern) der Republikaner, geht die Börse davon aus, dass die versprochenen Steuersenkungen zu einem ausreichenden Wachstum führen. Die derzeit hohe Kapazitätsauslastung setzt hier aber Grenzen. Im Gegenteil. Die kreditfinanzierte Nachfrage würde auf ein nicht erweiterungsfähiges Angebot treffen, so dass, wie während und nach der Pandemie, die Inflation wieder mit höheren Zuwachszahlen aufwartet, zumal diese Basis bedingt auch ohne politische Maßnahmen anziehen dürfte. Da aber bei beiden Präsidentenanwärter mit höheren Zöllen gerechnet werden muss, ist eine steigende Inflation ohnehin recht wahrscheinlich.

Bei einem Wahlsieg der Demokraten wäre das Ergebnis das gleiche, auch wenn die Versprechungen der Parteien sich unterscheiden. In beiden Fällen wird es eine kräftige Ausweitung der Verschuldung geben. Bei den Demokraten weniger, bei den Republikanern mehr. Aber durch die weitere Erhöhung der Verschuldung wird deren Finanzierung immer schwieriger. In USA liegt sie immerhin bei mittlerweile 130 Prozent zum BIP. Der jährliche Zinsaufwand hat die ca. eine Billion überschritten. „Große“ Gläubiger wie China oder Saudi-Arabien wenden sich vom US-Dollar ab. Die westlichen Verbündeten können mangels „Masse“ die Lücke nicht füllen.

Die zehnjährigen US-Zinsen sind - vom Markt ignoriert - trotz der ersten Zinssenkung der Fed von ca. 3,7 auf über 4,3 Proeznt gestiegen. Die Rentenmärkte könnten so zum sogenannten „schwarzen Schwan“ werden. Steigende Inflation wird den Handlungsspielraum der Fed einschränken, die die kurzfristigen Zinsen dann weniger stark (wenn überhaupt) reduzieren dürften. Die Situation am langfristigen Rentenmarkt, nämlich mehr Angebot (höhere Verschuldung) und weniger Nachfrage bei Staatsanleihen, könnten zu einem Anziehen der Renditen führen.

Da höhere Finanzierungszinsen für die Wirtschaft negativer sind als die Vorteile von Steuersenkungen, entstünde ein Szenario, die für die Entwicklung der Aktienkurse extrem negativ wäre. Denn ein bedenkliches Szenario würde auf einen total positiven Markt treffen. Äußerst hohe Effektenkredite, teilweise in Währungen (Carry-Trades) und vor allem unverantwortliche Größenordnungen bei Nominalwerten der Derivate könnten düstere Aktien-Prognosen Wahrheit werden lassen. Auf jeden Fall wird die Volatilität sprunghaft ansteigen. Wie ich schon in meiner Kolumne im Oktober dargestellt habe, haben sich in fast alle Zinssenkungszyklen seit dem 2. Weltkrieg für die Aktien zunächst deutlich negativ ausgewirkt.

Gründe, die weitere Börsenphase mit Vorsicht zu sehen, gibt es genügend. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass viele aktive Berater und Analysten eine Baisse noch nie erlebt haben. Dazu kommt noch eine Masse unerfahrener, junger Kleinakteure. Nach wie vor halte ich eine erhöhte Liquiditätshaltung und hohe Qualität bei den Anlagewerten sowie einen nennenswerten Anteil in Edelmetallen für eine gute Strategie, eine „schwierige“ Börsenphase gut zu überstehen. Die Goldpreise könnten vor dem Hintergrund steigender Zinsen zunächst konsolidieren. Derzeit ist der Markt überkauft und das Thema sehr oft in der Presse. Beides ist kurzfristig meist negativ. Nach über 30 Prozent Performance in 2024 wäre eine kurze Rallyepause auch durchaus angebracht. Wenn bei den Aktien die Kursrückgänge heftiger werden und wie immer auch „Angst“ auslösen, dürfte das Edelmetall die 3.000 Dollar Marke überspringen. Fazit für die Edelmetalle: Buy the dip.

Marktkommentar von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH.