"Die Nachfrage nach aktienbasierter Altersvorsorge wird steigen"

31.03.2021

Prof. Dr. Michael Heuser, wissenschaftlicher Direktor des DIVA / Foto: © DIVA

Das Deutsche Institut für Vermögensbildung und Altersvorsorge (DIVA) in Marburg, veröffentlicht im April seinen neuen Altersvorsorge-Index, den DIVAX-AV. Zu den Ergebnissen der Befragung (mehr erfahren Sie hier) von Bürgern und Experten sprachen wir mit dem wissenschaftlichen Direktor des Instituts, Herrn Prof. Dr. Michael Heuser.

finanzwelt: Herr Heuser, wie lautet Ihre Einschätzung zur aktuellen Situation der staatlichen Alterssicherung?

Prof. Dr. Michael Heuser: Wir wissen seit 1965 – seit Wirtschaftswunder und Pillenknick –, dass unsere gesetzliche Rentenversicherung in eine Demografiefalle läuft. Jetzt schnappt sie zu. Die Babyboomer kommen in ihre 60er, wollen bald Rente haben und fallen dann als Beitragszahler weg. Weiter unten in der Alterspyramide wird es im wahrsten Sinn des Wortes dünn; uns gehen die Beitragszahler aus. In der Vergangenheit haben wir Rentenlöcher mit Bundeszuschüssen zugeschüttet, im vergangenen Jahr allein mit rund 100 Mrd. Euro. Das werden wir nicht weiter durchhalten, zumal die öffentlichen Haushalte nun auch noch gigantische Corona-Schulden zu verkraften haben. Die üppigen Jahre sind vorbei. Uns stehen höhere Beiträge oder weniger Rente oder ein späterer Renteneintritt bevor – und vermutlich alles drei.

finanzwelt: Im Ihrem neuen Frühjahrs-Index kommen Sie zum Schluss, dass die Zuversicht in Bezug auf die Altersvorsorge trotzdem größer geworden ist. Insbesondere bei der jungen Generation, auch gerne als die Millennials bezeichnet, entsteht der Eindruck, mehr für die eigene, private Altersvorsorge tun zu müssen. Sehen Sie das als eine grundlegende Umkehr der bisherigen Einstellung? Haben die Menschen verstanden?

Heuser: Um das empirisch solide beurteilen zu können, wird man sicher noch abwarten müssen. Wir beobachten allerdings seit einigen Monaten, dass sich ein Trend aufbauen und verstetigen könnte. Gerade die Millennials scheinen sich für ihre Altersvorsorge nicht auf Versprechungen verlassen zu wollen. Sie sind nüchtern und realistisch genug, dass Thema selbst und langfristig anzugehen.

finanzwelt: Die deutschen Sparer sind nach wie vor keine Börsenweltmeister. Was macht Sie zuversichtlich, dass sich an diesem Phänomen bei künftigen Generationen etwas ändert?

Heuser: Da bewegt sich tatsächlich etwas. Seitens des DIVA-Instituts sprachen wir bereits vor Weihnachten von einer auffälligen „Jungen Lust auf Börse“, eine Einschätzung, die inzwischen auch die Bundesbank und das Deutsche Aktieninstitut bestätigen. Wir hatten in Deutschland im letzten Jahr so viele Aktienkäufe wie nie zuvor, nicht nur, aber besonders stark von den Jüngeren. Sie könnten weiter steigen. In der DIVA-Befragung hält inzwischen fast die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger aktienbasierte Anlageformen für attraktiv. Und jeder Dritte gibt an, sich in näherer Zukunft stärker an der Börse zu engagieren.

finanzwelt: Die Anbieter privater Altersvorsorgeprodukte setzen immer mehr auf aktienbasierte Lösungen. Sehen Sie überhaupt noch Produktalternativen?

Heuser: Die Anbieter machen das, weil die Menschen es wollen. Die Nachfrage schafft sich ihr Angebot. Es ist richtig, in seiner Alterssicherung stärker auf Produktivkapital zu setzen, um am Wachstum der Volkswirtschaft zu partizipieren. Nur so lassen sich am Markt Renditen erzielen. „Sichere“ Produkte sind in Zeiten von Nullzinsen nur mit staatlicher Förderung attraktiv. Also Zulagen oder auch Steuervergünstigungen. Sonst ist eine Beitragsabsicherung von 100 Prozent – ob vom Sparer gefordert oder gesetzlich garantiert wie etwa beim Riester-Sparen – eine 100%-Garantie für Kaufkraftverluste.

finanzwelt: Was bedeuten aus Ihrer Sicht die Ergebnisse der Frühjahrsstudie konkret für die professionelle Finanz- und Vorsorgeberatung?

Heuser: Wir stellen fest, dass im Land Beratungsbedarf besteht und weiter zunimmt. Private Altersvorsorge aufbauen, ist eine komplexe Sache. Unsere Umfragen zeigen, dass die Hälfte der Bürger persönliche Beratung für notwendig hält. Unsicherheit allenthalben, Sachkunde und Erfahrung sind vonnöten. Zusammen mit dem Filialsterben der Banken in der Fläche entwickelt sich ein Teufelskreis. Es wundert nicht, dass Vermögensberater händeringend nach Nachwuchs suchen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass 80 Prozent der Vermögensberater-Kunden das Sparen in Aktien für attraktiv halten – im Vergleich zu 50 Prozent der Bürger generell. Vermögensberatung hat also Relevanz für die Aktienkultur in Deutschland.

finanzwelt: Wo sehen Sie die private Altersvorsorge in zehn Jahren?

Wir können das Eins-plus-Eins der Trends zusammenzählen: Die gesetzliche Rente wird nicht mehr reichen; die Bürger erkennen die Notwendigkeit, mehr als bisher privat vorzusorgen; die Menschen wagen sich zusehends insbesondere an eher defensive Börsenprodukte wie Aktienfonds. Daraus ergibt sich eine deutlich steigende, deutlich stärker aktienbasierte private Altersvorsorge.