Die Kehrseite der Zins-Medaille

05.05.2023

Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH / Foto: © I.C.M.

Alle Börsenteilnehmer sollten mittlerweile wissen: Die Zinsen bzw. die Spekulation auf deren Entwicklung sind aktuell der entscheidende Einflussfaktor für die Börsen. Die Zinserhöhungen wirken sich mit Sicherheit auf Inflation, aber auch auf das Wachstum negativ aus. Recht schnell ist dies bei der Neuvergaben von Krediten (z.B. Bau-darlehen) erkennbar. Bei bestehenden Krediten sind Zinsfestschreibungen die Imporabilie. Je länger der Festzins vereinbart wurde, umso länger dauert es, bis der negative Einfluss bei den Wirtschaftszahlen sichtbar wird. Dann aber oft mit brachialer Gewalt. Eine tiefe Rezession würde zwar die Inflation reduzieren, aber die Gefahr einer Kreditkrise eminent erhöhen.

Werden die Zinsen zu früh gesenkt, verlangsamt sich die Rückbildung der Inflation. Somit könnten die Notenbanken die Zinsen länger höher belassen, als die Börsen derzeit glauben. Im Endeffekt wird aber dann die negative Auswirkung stärker sein. Zinserhöhungen sind im Allgemeinen „Gift“ für den Konsum. Sie wirken oft bei den „Kreditkonsumenten“ unmittelbar. Kann aber der Verbraucher auf Sparguthaben zurückgreifen, gehen die Umsätze zunächst nur wenig zurück. Aber irgendwann ist das Geld alle bzw. ist die Rücklagengrenze erreicht. Andererseits ist der Anlagezins so hoch geworden, dass „sparen“ wieder Sinn macht. Der Konsumstopp könnte abrupt erfolgen, vor allem dann, wenn mehrere Einflüsse gleichzeitig auftreten.

Der Zins ist demnach das Problem der Notenbanken und aufgrund der höchsten Verschuldungen weltweit die Rasierklinge, auf der sie tanzen. Bei steigender Inflation bekämpfen Zinserhöhungen zwar diese, verteuern aber andererseits die Kredite, reduzieren so den Konsum und neue Bauvorhaben. Sie machen etliche Investitionen unrentabel. Ebenfalls verteuern sich bestehende Kredite bei Ablauf der Zinsbindung. Weniger Konsum, Neubauten und Investitionen schwächen aber die Wirtschaft. Je höher die Zinsen steigen oder hoch bleiben, umso größer die Beeinträchtigung der Wirtschaft, mit der Folge, dass schwache Gesellschaften (sog. Zombie-Unternehmen) Konkurs anmelden. Konkurse erhöhen dann den Abschreibungsbedarf der Banken (USA 2023: +73 %). Irgendwann wird es bei den Kunden dieser Kreditinstitute Angst auslösen. Die Gefahr eines Bankenruns (Silicon Valley Bank) wächst. Aus den Rissen im Finanzsystem werden Löcher.

Die Geldwächter werden also bei Wirtschaftsschwäche die Zinsen wieder zurück-nehmen müssen. Mit der Folge, dass die Inflation hoch bleibt oder sogar weiter steigt. Denn sie wird über die Zinsseite nicht mehr bekämpft. Inflation reduziert aber trotzdem Konsum und die Möglichkeiten eines Immobilienerwerbs, zumal auch die Bau- und Wohnnebenkosten steigen.

Die hohen Lohnabschlüsse verbessern die Kaufkraft nur scheinbar. Denn zum einen bleiben die netto Steigerungen deutlich unter der Inflationsrate und zum anderen verstärken sie die kommenden Inflationsraten. Oder glaubt jemand, dass die Lohnerhöhungen sich nicht im Laufe des Jahres in Preiserhöhungen wiederfinden? Die Lohn-Preis-Spirale ist in vollem Gange. Wächst aber die Wirtschaft trotz aller Risiken, würden sich auch die Rohstoffe weiter verteuern. Zinserhöhungen sind aber wegen viel zu hohen Schulden nicht bezahlbar.
Die unsinnige Gelddruckerei der letzten Jahre hat einen Teufelskreis geschaffen.

Außerdem kommen noch externe Krisen hinzu. Ukraine, schwacher Yen, Vertrauensverlust des US-Dollars und die Konfrontation zwischen Ost und West. Hinzu haben wir noch die Flüchtlings-, Demographie- und Klimaproblematiken. Ein schlimmes Umfeld für zu treffende Entscheidungen der Geldhüter. Aber auch für den Anleger. Eines scheinen die Börsenreaktionen allerdings zu bestätigen. Je größer die Unsicherheiten, je höher der Goldpreis.

Warnung vor der Börsenstimmung: Angstindex VIX am 52-Wochen-Tief (keine Angst), US-Geldmenge seit zwölf Monaten rückläufig, Cash-Quote der US-Investmentfonds nur noch bei 2,5 %, US-Wertpapierkredite relativ hoch bei ca. 645 Mrd., hohe Umsätze bei S& P-Optionen mit kurzer Laufzeit (Schneeballeffekt). Da darf nichts passieren.

Kolumne von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH