Die heile Börsenwelt

07.10.2024

Rolf Ehlhardt - Foto: © I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH

Neue Hochs zum Monatsende. Die Börsenwelt ist nicht nur morgens um sieben in Ordnung. Die Märkte implizieren, dass eine weiche Landung gelingen wird, das heißte die Inflation geht in Richtung zwei Prozent zurück, ohne dass es einer Rezession bedarf.

Die Aussage von Fed-Chef Powell, dass die Inflationsbekämpfung nicht mehr im Vordergrund steht, sondern das Wirtschaftswachstum hat an der Börse zu weiteren Kurssteigerungen geführt, zumal die amerikanische Wirtschaft noch robust ist. Aber alle westlichen Länder arbeiten mit hoher Kapazitätsauslastung. Aufgrund des Fachkräftemangels werden aber nicht mehr Arbeitsstunden geleistet, zumal weitere Migrationen immer mehr unerwünscht sind.

Sollte, wie von der Börse erwartet und eingepreist, die Zinssenkungen zu mehr Nachfrage führen, könnte das Inflationsgespenst wieder erwachen. Dann dürften aber die Zinsen nicht so schnell und so weit reduziert werden, wie die Börsen dies annehmen. Jedoch der Konsument, der die Preissteigerungen seit 2020 (ca. 20 Prozent) durch Lohnsteigerungen nicht auffangen konnte, dürfte kaum Spielraum für höhere Ausgaben haben. Sollten die Zinsen nicht viel weiter fallen, wird auch die kreditfinanzierte Nachfrage nicht die Erwartungen erfüllen.

Ein Verbleiben der Zinsen auf relativ hohem Niveau stellt die Regierungen vor große Probleme. Aus den kräftig gestiegenen Staatsverschuldungen resultieren dann immer höhere Zinszahlungen, die die Handlungsfähigkeit der Politiker/innen weiter einschränken, die ohnehin durch die steigenden Ausgaben für Rüstung, Klimawandel, Gesundheit und Soziales schon stark vorbestimmt ist. Bleibt ein entsprechendes Wirtschaftswachstum (mit höheren Steuereinnahmen) aus, müssten entweder andere Ressorts gekürzt oder größere Haushaltsdefizite und damit steigende Schulden in Kauf genommen werden. Leider muss man davon ausgehen, dass die Politiker/innen dann den Ausweg höhere Schulden wählen, vielleicht finanziert durch die Notenbanken. Dies löst aber keine Probleme, sondern verschiebt ein noch größeres Problem in die Zukunft.

Denn die Folge dürfte sein, dass wir zuerst wieder höhere Steigerungsraten bei der Inflation bekommen, gefolgt von höheren Zinsen, zumindest bei langlaufenden Zinsen. Für die Börse ein übles Szenario. Die Wirtschaft würde rückläufig werden. Eine inverse Zinskurve - wie aktuell - war in der Vergangenheit oft ein Vorbote einer Rezession.

Bei einem weiteren Blick zurück stellt man fest, dass es seit 1989 in den USA 5 Zinssenkungsphasen gab. In vier Fällen (80 Prozent) führten sie trotzdem in eine Rezession, verbunden mit Aktienkursrückgängen von 21 und 57 Prozent, wobei die jüngste Phase auch Corona bedingt war.

Für Deutschland zeigen sich bereits schwarze Wolken am Himmel. Politische Fehlentscheidungen führten zu hohen Energiepreisen, die zum Teil 1,5 bis 3 mal so hoch sind wie in USA oder China. Fast wöchentliche Meldungen über Personalabbau, Umsatzeinbußen oder immer wieder Verkäufe ins Ausland (Schenker, Commerzbank?). Im 1. Halbjahr sind die Insolvenzen um 24,9 Prozent gestiegen, die offenen Forderungen von 13,9 auf 32,4 Mrd. Euro. Der Einkaufsmanager-Index 47,2, der Barometer der Industrie 40,3 Punkte. Erst ab 50 Punkte signalisieren beide Indikatoren wiederbeginnendes Wachstum. Der Geschäftsklimaindex für Kleinstunternehmen fiel auf minus 18,4 Punkte. Die Baubranche jammert. Die Baugenehmigungen bis Juli fielen ggü. letztes Jahr um 20,8 Prozent, gegenüber Juli 2022 um 44,6 Prozent. Kritisch, dass nun auch die Baufinanzierungen prolongiert werden müssen, die vor zehn Jahren mit Zinsen unter zwei Prozent ausgegeben wurden. Die Zinsausgaben werden derzeit bei Verlängerung um 50 bis 100 Prozent steigen. Also auch in diesen Fällen sind Konsumsteigerungen begrenzt. Wenn die „Ampel“ in ihrem Haushalt 2025 vor diesem Hintergrund das Wachstum auf 1,5 Prozent erhöht hat, besteht die Gefahr, dass es sich um einen ganz üblen Trick handelt. Da erhöhtes Wachstum auch mit höheren Steuereinnahmen verbunden ist, sind die Einnahmen „geschönt“, um die Ausgaben zu rechtfertigen.

Vor dem bedenklichen Hintergrund ist es verwunderlich, dass der DAX-Index neue Höchstwerte erreicht. Hauptgrund ist, dass viele DAX-Werte ihre Hauptumsätze im Ausland erzielen und die Stimmung für Aktien grundsätzlich positiv ist. Dagegen ein weiteres Warnsignal sind die Höchstkurse für Gold. Großanleger bauen sich Positionen zur Diversifikation auf, östliche Notenbanken ihre Währungsrücklagen. Nur die westlichen Anleger haben sich bereits zu Beginn dieses Jahrzehnts vom Edelmetall getrennt. Wie wir heute wissen: Eine grasse Fehlentscheidung.

Aber nicht nur die fundamentalen Daten drüben sich ein, auch einige Indikatoren und Zahlen senden negative Signale für die US-Börsen. So fällt der US-Leading Economic Index (Conference Board) seit Monaten. Die Anleger sind „bullish“ wie nie. Als Folge liegt die Cash-Quote der US-Investmentfonds nur noch bei 1,8 Prozent und das Volumen von auf Kredit gekaufter Aktien ist sehr hoch. Andererseits ist die Geldmenge seit mehreren Quartalen rückläufig. Noch zeigen die Indices nach oben. Die fundamentale Bewertung der S&P 500 ist mit einem 30,0 KGV sehr hoch. Auch das Shiller-KGV mit 36,5 recht anspruchsvoll. Ein neues Hoch machte der Buffett-Index. Die Bruttowertschöpfung stieg auf über 200 Prozent (März 2000: 160 Prozent). Der Buffett-Index misst die USMarktkapitalisierung in Prozent zum BIP.

Da viele Probleme noch nicht gelöst sind und diese jederzeit ausbrechen können, dürfte ein Einsteigen bei Gold selbst auf heutigem Niveau noch sehr lukrativ sein. Ein „sicherer Hafen“ für die Vermögenssicherung könnte in naher Zukunft von Nöten sein. Besonders Aktien von Goldproduzenten sind noch stark zurückgeblieben. Der Hui-GoldminenIndex hat erst vor kurzem den Abwärtstrend seit 2010 gebrochen. Xetra-Gold und gleiche Produkte haben noch ein besonderes Privileg: Sie sind nach einem Jahr Haltedauer steuerfrei.

Marktkommentar von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH.