Die Halbleiterindustrie steht für den digitalen Fortschritt

21.04.2021

Martyn Hole, Investmentdirektor für Aktien bei Capital Group - Foto: © Capital Group

In der Vergangenheit richteten viele Investoren ihren Blick gen USA und den Tech-Aktien. Doch auch der europäische Kontinent bietet attraktive Chancen. Was sind die Triebkräfte für die europäische Wirtschaft? Darüber und zu weiteren Fragen stand Martyn Hole, Investmentdirektor für Aktien bei Capital Group, der finanzwelt-Redaktion Rede und Antwort.

finanzwelt: Anfang 2021 war vermehrt zu lesen, dass europäische Aktien im laufenden Jahr „das Rennen machen“ könnten. War diese Annahme mitunter zu optimistisch? Martyn Hole: Im Nachhinein betrachtet, war die Annahme tatsächlich zu optimistisch. Die Gewinne europäischer Unternehmen enttäuschen, im Vergleich zu denen von US-Unternehmen, bereits seit über zehn Jahren. Zudem wirkt sich die durch das Coronavirus ausgelöste Rezession negativ auf Branchen aus, in denen Europa eine wichtige Rolle spielt: so etwa in den Bereichen Finanzen, Energie und Rohstoffe.

Die Zukunft der europäischen Wirtschaft hängt nun davon ab, wie schnell die Pandemie abklingt und in welchem Umfang die Regierungen weitere fiskalische und monetäre Unterstützung leisten werden. Wenn wir den pandemiebedingten Lockdown, der für die schlimmste Rezession seit der Großen Depression verantwortlich ist, hinter uns lassen können, können wir laut Internationalem Währungsfonds (IWF) 2021 mit einem soliden Wachstum in allen wichtigen Volkswirtschaften rechnen. In der Fertigung sehen wir bereits starke Anzeichen dafür.

finanzwelt: Welche Erwartungen haben Sie an die Entwicklung der europäischen Unternehmensgewinne? Hole: Der Internationale Währungsfonds rechnet für 2021 mit einem europäischen Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent. Zum Vergleich: 2020 schrumpfte die Wirtschaft in Europa um 8,3 Prozent. Allerdings hängen die Perspektiven Europas weiterhin stark davon ab, wie schnell wir die Pandemie unter Kontrolle bekommen und wie schnell die aktuellen Maßnahmen gelockert werden.

Diese Unsicherheit in der Region ist auch der Grund, warum es schwierig ist einen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem das Wirtschaftswachstum zurückkehrt. Allerdings könnte die Kombination aus lockerer Finanz- und Geldpolitik, finanziell gut aufgestellten Konsumenten und einem Bankensektor, der so gesund ist wie seit der Finanzkrise nicht mehr, dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Erholung viele positiv überraschen wird. Zwar sind die Brexit-Auswirkungen, auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und Großbritannien, immer noch nicht abzuschätzen, was manche Investoren verunsichern könnte. Da jedoch viele europäische Unternehmen global aufgestellt sind und verglichen mit ihren amerikanischen Pendants, attraktive Bewertungen vorweisen können, glauben wir, dass es einige Wertpapiere in Europa gibt, die für Langzeitinvestments interessant sind.

finanzwelt: Wo sehen Sie auf dem europäischen Kontinent Licht; wo eher Schatten? Hole: Meiner Meinung nach gibt es keine wichtigere Branche für den digitalen Fortschritt als die Halbleiterindustrie. Einige Unternehmen in diesem Sektor sind schlicht unersetzbar. Wenn einige Anbieter aus den Bereichen Retail, erneuerbare Energie oder Social Media morgen verschwinden würden, könnten wir immer noch teure Kleidung kaufen, luxuriöse Elektroautos fahren und miteinander kommunizieren. Die Auswahlmöglichkeiten wären zwar limitierter, aber weiterhin vorhanden. Wenn dagegen beispielsweise die niederländische ASML morgen den Betrieb einstellen würde, dann würde der gesellschaftliche Fortschritt meines Erachtens nach um zehn bis 15 Jahre zurückgeworfen werden.

Die Einstiegshürden dieser Branche sind bedeutend. Schließlich ist es ein Sektor in dem Wissen exponentiell anwächst. Wenn ein Unternehmen einen technischen Entwicklungsschritt verpasst, ist es unglaublich schwer diesen aufzuholen. Es ist beinahe unmöglich eine Phase zu überspringen und in der nächsten wieder eine Führungsrolle in einzunehmen. Fotolithografie macht zwar keine so großen Schlagzeilen, wie beispielsweise das SpaceX Projekt. Wer sich jedoch mit ASML‘s EUV1-Technologie beschäftigt, erkennt, dass diese vermutlich eine der größten technischen Errungenschaften der Menschheit ist.

Auch wenn es am europäischen Markt weniger hoch bewertete Technologie-Aktien gibt, gibt es in der Region doch einige marktführende Unternehmen. Die Sektoren Luxusgüter, Online-Lebensmitteleinkauf und Biowissenschaft sind nur einige Bereiche in denen Europa einzigartige Firmen mit innovativen Unternehmenskulturen zu bieten hat, die sonst nirgendwo auf der Welt zu finden sind.

finanzwelt: Was bereitet Ihnen Sorgen? Hole: In einer Welt, die von den FAANG-Aktien dominiert wird, werden europäische Wertpapiere als attraktive Anlageklasse oftmals übersehen. Die europäischen Aktienindizes haben den amerikanischen Pendants in den letzten Jahren in Sachen Performance deutlich hinterhergehinkt. Ein Grund hierfür war, dass die europäischen Indizes eine größere Fokussierung auf so genannte „old economy“ Sektoren, wie Energie, Rohstoffe, Versorgung und Finanzen haben.

So waren fast alle Kommunikationsservices in Europa in den letzten zehn Jahren alte Telekommunikationsunternehmen. Von daher erklären wir uns die schwächere Performance des MSCI Europe Index, im Vergleich mit dem S&P 500, damit dass dieser von Unternehmen aus der „old economy“ dominiert wird. Trotzdem gibt es in Europa einzigartige Investmentmöglichkeiten und viele davon bieten großes Wachstumspotenzial.

finanzwelt: Welche Lösung(en) bieten Sie im Umfeld europäische Aktien an? Hole: Mit dem Capital Group European Opportunities (LUX) (ISIN Anteilklasse B EUR: LU2260169961) bieten wir eine langfristig ausgelegte Strategie, die sich auf europäische Wachstumschancen fokussiert. Der Fonds wurde im Februar dieses Jahres aufgelegt und ist für Investoren in Europa und Asien zugänglich. Ein Hauptmerkmal des Fonds ist, dass dieser auf widerstandsfähige Unternehmen setzt, die unabhängig von Marktbedingungen wachsen können. Wir stellen den Fonds nach dem Bottom-up-Ansatz zusammen und suchen besonders nach Wachstumsunternehmen mit nachhaltigen und innovativen Geschäftsmodellen.

Aufgrund dieses Auswahlprozesses ist das makroökonomische Umfeld weniger wichtig. Stattdessen liegt unser Fokus darauf, ob der entsprechende Sektor zukunftsfähig ist, ob ein Unternehmen in der eigenen Branche gut positioniert ist, wie gut das Management-Team ist und, wie die Bewertung des Aktienkurses ausfällt.

finanzwelt: Anhand welcher Kriterien wählen Sie Aktien aus? Hole: Als langfristige Investoren achten wir besonders darauf in Unternehmen zu investieren und mit diesen Partnerschaften einzugehen, die fähige und vertrauenswürdige Management-Teams besitzen. Wir glauben, dass Investitionen in gut geführte Unternehmen in geringeren Portfolioumschichtungen resultieren. Wir haben beispielsweise eine durchschnittliche Haltedauer von mindestens vier Jahren. Aber natürlich ist auch die Unternehmensbewertung ein wichtiger Faktor für uns.

finanzwelt: Wird das Thema „Value“ weiterhin gefragt sein? Hole: Die relative Outperformance der Growth- gegenüber der Value-Aktien hält nun schon lange an und ist, meiner Meinung nach, beispiellos. Doch warum ist das so? Diese Frage ist meines Erachtens nach entscheidend. Schauen wir in die Vergangenheit, sehen wir, dass die relativen Erträge für diese Outperformance verantwortlich sind. Auf der Grundlage einer starken wirtschaftlichen Erholung könnten jedoch die deutlich zyklischeren und wertorientierten Branchen in Zukunft besser performen. Es könnte auch einige Growth-Unternehmen geben, die schlichtweg überbewertet sind – daher ist es wichtig sich auf die Fundamentaldaten zu fokussieren. Schließlich gibt es auch genug Unternehmen, die als „Value“ bezeichnet werden, aber nicht unbedingt gute Investments sind – die klassische Value-Falle. (ah)