Die „Getriebenen“ der Branche?
05.12.2023
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ESG-Maßnahmen sind für Unternehmen eine strategische Option geworden, um durch Wachstum neue Geschäftsfelder zu erschließen oder neue Zielgruppen anzusprechen. Die nachhaltigen Regularien stellen allerdings vor allem für Finanzunternehmen eine Verpflichtung gegenüber dem Gesetzgeber und Investoren dar. Das ist das Ergebnis einer Umfrage vom Research-Unternehmen Momentum ITSMA, im Auftrag der Wirtschaftskanzlei Simmons & Simmons zum Thema.
Durchgeführt unter 600 Führungskräften unterschiedlicher Branchen in Europa, Großbritannien, in den USA, im Mittleren Osten sowie in Asien. Zu den 200 Finanzunternehmen, die im Rahmen der Studie befragt wurden, zählen vor allem Banken sowie Asset Manager. Schwerpunkt der Umfrage, die vom Beratungs- und Research-Unternehmen durchgeführt wurde, waren Ziele und Aktivitäten auf dem Gebiet der drei Bereiche des ESG.
„Viele Finanzunternehmen sehen sich eher in einer Rolle der ‚Getriebenen‘ durch ESG-Anforderungen. Auch wenn ESG-Regularien für die Finanzindustrie komplex sind, lohnt es sich, die nachhaltige Ausrichtung von Prozessen und Produkten auch als Wachstumschance zu begreifen“, meint Dr. Harald Glander, Partner bei Simmons & Simmons mit Schwerpunkt Asset Management, Fonds und ESG-Regulatorik.
82 % der Finanzunternehmen sehen ESG als Verpflichtung an
Mehr als drei Viertel der befragten Finanzunternehmen (82 %) stimmten der Aussage zu, dass ihre Investments in Nachhaltigkeit primär durch Verpflichtungen gegenüber Gesetzgebern, Investoren oder anderen externen Stakeholdern getrieben sind. Demgegenüber stimmten nur 69 % der Aussage zu, dass ihr Unternehmen primär in nachhaltige Projekte investiert, um Wachstumsziele wie etwa steigende Gewinne zu verfolgen. Für Branchen wie Gesundheit, Technologie & Telekommunikation, Energie sowie Immobilien & Infrastruktur stehen hingegen Wachstumsziele im Zusammenhang mit ESG-Aktivitäten im Vordergrund.
Dabei haben die Verantwortlichen des Finanzsektors eine klare Meinung über die positiven Auswirkungen, sich als Firma nachhaltiger aufzustellen: 89 % der Befragten stimmen zu, dass Unternehmen, die am effektivsten in Nachhaltigkeit investieren, in den nächsten fünf bis zehn Jahren finanziell am besten abschneiden werden. 79 % gehen davon aus, dass das Engagement für Nachhaltigkeit neue Verbrauchermärkte erschließen kann.
Gefragt nach den Top-Prioritäten für interne Investments in Nachhaltigkeit antworteten 54 % der Befragten aus der Finanzindustrie mit einem verbesserten Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, gefolgt vom Launch neuer Produkte oder Services (50 %) sowie um Forderungen von Investoren zu entsprechen (48 %).
Größere Furcht vor Rechtsstreitigkeiten, Strafen und Greenwashing-Vorwürfen
Als größtes Risiko im Zusammenhang mit dem Thema ESG sehen 58 % der Finanzunternehmen weltweit Rechtsstreitigkeiten oder Strafen aufgrund der Nichteinhaltung von ESG-Regularien an, gefolgt von der Sorge, Investitionen zu verlieren aufgrund unzureichender Nachweise über nachhaltiges Handeln (47 %). Reputationsverluste durch eine mögliche Wahrnehmung als „Greenwasher“ befürchten 41 % der Finanzunternehmen.
Die Bedeutung des Themas „Greenwashing“ zeigt sich auch an anderer Stelle in der Umfrage: Nur 59 % der befragten Finanzunternehmen sehen ihr eigenes Unternehmen gut aufgestellt, um die geltenden Vorschriften im Zusammenhang mit „Greenwashing“ zu erfüllen. Zum Vergleich: 84 % der Finanzunternehmen sehen sich bei der Erfüllung von Regularien beim Thema Diversity und Inklusion gut aufgestellt. Auch beim Thema Klimaadaption sieht sich die Finanzindustrie mit 79 % Zustimmung gut gewappnet gegenüber gesetzlichen Vorschriften. Dies ist insofern keine Überraschung, als die internen Nachhaltigkeitsinvestments nach Angaben der Finanzunternehmen tatsächlich in erster Linie in diese beiden Bereiche fließen (Diversity & Inklusion: 76%; Klimaadaption: 60 %).
„Die Sorge, dass es in Zusammenhang mit ESG zu Rechtsstreitigkeiten kommen könnte oder des ‚Greenwashings‘ bezichtigt zu werden, ist bei Finanzunternehmen besonders stark ausgeprägt. Daraus spricht auch ein Stück weit Unsicherheit über die Auslegung der geltenden Regularien, etwa wo ‚Greenwashing‘ anfängt. Das aktive Auseinandersetzen mit bestehenden und auch kommenden Regularien ist daher ein entscheidender Faktor, um langfristig rechtssicher zu agieren“, erläutert Glander.
Die Folgen möglicher ESG-Verstöße seien gravierend. Vor allem Kunden und Investoren reagierten aus Sicht von Dr. Harald Glander zunehmend sensibel darauf. „Unternehmen müssen sich darüber im Klaren sein, dass das, was sie sagen, korrekt ist, und dass sie auch das tun, was sie sagen”, fasst Dr. Glander zusammen. Bei vielen Unternehmen sei sogar bereits ein „Greenhushing” festzustellen, also ein Zurückhalten bei der Veröffentlichung von Nachhaltigkeitspraktiken, um keine Angriffsfläche zu bieten. Gleichzeitig werde aber auch das, was nicht explizit gesagt wird, immer kritischer unter die Lupe genommen - für Unternehmen stellt dies eine immer herausforderndere Situation dar.
Stärkung eigener Kompetenzen, mehr Austausch mit Gesetzgeber, klarere Datenanforderungen gewünscht
Um sich im Bereich Nachhaltigkeit besser aufzustellen und Chancen, die in der Umsetzung von ESG-Maßnahmen liegen, zu nutzen, sehen 61 % der Finanzunternehmen in erster Linie die Stärkung von Kompetenzen im eigenen Hause an - wozu vor allem die Gewinnung von Fachkräften mit fundierten Erfahrungen bei Nachhaltigkeitsprojekten zählt. Eine größere Transparenz entlang der Wertschöpfungskette (Kunden, Lieferanten, Investoren) sehen 54 % der Finanzdienstleister als nützlich an, einen engeren Dialog mit dem Gesetzgeber im Hinblick auf ESG-Gesetzgebung wünschen sich 49 % von ihnen. Auch das Thema Daten treibt die Finanzindustrie um: Eine größere Klarheit in Bezug auf die Anforderung von Daten, um die Erfüllung von regulatorischen Nachhaltigkeitskriterien zu belegen, wünschen sich 45 % der Finanzunternehmen.
„Die Umfrage zeigt, dass es für die Finanzindustrie sehr herausfordernd ist, mit regulatorischen Anforderungen im Bereich ESG Schritt zu halten. Der Gesetzgeber sollte dies berücksichtigen und etwa bei der Offenlegung von Daten und Informationen für mehr Klarheit sorgen“, fasst Dr. Harald Glander zusammen. Aktuell gelte es beispielsweise für Finanzunternehmen, die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR), die Anlegern eine bessere Informationsgrundlage zu nachhaltigen Finanzprodukten bieten soll, umzusetzen. (ml)