Die Arbeitskraft ist wertvoller als das Auto

11.06.2015

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Die Absicherung der Bundesbürger gegen den Verlust der Arbeitskraft lässt deutlich zu wünschen übrig. Dass daran alleine die Versicherer mit ihrer Prämienpolitik schuld seien, ist ein Trugschluss. Vielmehr schenken viele Menschen ihrem Auto mehr Beachtung als sich selbst. Stärker denn je ist deshalb der Vertrieb gefordert – auch mit alternativen Angeboten.

„BU-Policen sind der Königsweg zur Absicherung der Arbeitskraft" – diese Parole war für den Vertrieb jahrzehntelang Maßstab bei der Kundenberatung. Doch seit einiger Zeit stellt sich der Weg zur Krönung für viele Menschen als äußerst dornenreich heraus. Viele Versicherer haben eine derartige Beitragsspreizung vorgenommen, dass die Produkte für viele Verbraucher kaum mehr bezahlbar geworden sind. In der Folge ist der Neuabschluss von Berufsunfähigkeitsversicherungen regelrecht eingebrochen – 2014 gegenüber dem Vorjahr um 20 %, so eine aktuelle Analyse von MORGEN & MORGEN. In diesem Zusammenhang, so die Analysten, erkläre sich das zunehmende Interesse an Alternativen zur BU-Absicherung, insbesondere für risikoreichere Berufe wie solche mit körperlichen Tätigkeiten.

Die Versicherer erkennen das BU-Problem selbst.

„Grundsätzlich sollte sich jeder eine BU leisten, schließlich geht es um die Absicherung des größten Kapitals, das wir haben: unsere Arbeitskraft. Sie ist die Basis der gesamten Lebensführung und Lebensplanung", so Thomas A. Fornol, Leiter Intermediärvertrieb und Mitglied der Geschäftsleitung bei Swiss Life Deutschland. Dennoch stießen Menschen mit geringem Einkommen, geringer Qualifikation oder schwerer körperlicher Arbeit häufig an ihre finanziellen Grenzen. Fornol: „Für diese Personen bedarf es anderer Lösungen mit geringeren Kosten. Dafür werden wir in Kürze Lösungen bieten." Maximilian Buddecke, Leiter Maklervertrieb bei der Versicherungsgruppe die Bayerische, verknüpft diese Einsicht jedoch mit einer Mahnung an die Verbraucher: „Sicherlich ist die Beitragsspanne gerade für körperlich tätige Berufe angestiegen. Hier gilt es, bevor man die Laufzeit oder die Höhe der Absicherung reduziert, in der Qualität der Produkte etwas zu sparen oder alternativ einen Mix aus BU und alternativen Absicherungen, wie etwa eine funktionale Erwerbsunfähigkeitsabsicherung (EU) oder eine Invaliditätsvorsorge, anzubieten." Am langen Ende werde die Absicherung trotzdem Geld kosten. Und hier sollte dem Kunden klar werden, dass er ein kaputtes Auto, das gerne Vollkasko versichert wird, ersetzen kann, die Arbeitskraft hingegen nicht. Die Arbeitskraft hat einen deutlich höheren Wert als ein Auto, und trotzdem wird an der Absicherung gespart.

Probleme gibt es nicht nur hinsichtlich der Versicherbarkeit

weiter Teile der Bevölkerung, sie ist auch vom

Bildungsstand und Einkommen abhängig.

Wie Studien von Versicherern immer wieder zeigen, hängt die tatsächliche Absicherung der Arbeitskraft auch vom Bildungsstand der Betroffenen ab. Folgt man der Regel, dass sich der Ausbildungsgrad im ausgeübten Beruf und damit im Einkommen ausdrückt, zeigen sich vor allem Menschen mit niedrigerer Bildung und entsprechend geringerem Einkommen gegenüber dem Abschluss einer BU-Police besonders reserviert. Offenbar sind sie der Ansicht, mit ihrem überschaubaren Verdienst ohnehin gesetzlich ausreichend abgesichert zu sein und wenig zu verlieren zu haben. Eine fatale Fehleinschätzung, steht doch auch ihnen im Ernstfall nur eine magere gesetzliche Erwerbsminderungsrente zur Verfügung. Fornol warnt vor einer falschen Einstellung: „Der Absicherungsbedarf ist für jedermann von gleich hoher Bedeutung. Besserer Bildungsstand bedeutet kein geringeres Risiko. Leistungsverdichtung und Stress führen auch hier zur Zunahme von Berufsunfähigkeit, nur mit anderen Ursachen." Fakt bleibt jedoch, dass ihnen viele Versicherungsunternehmen wegen der in dieser Bevölkerungsgruppe häufig anzutreffenden körperlichen Tätigkeit gar kein bezahlbares Angebot unterbreiten würden.

Makler entdecken das Geschäftsfeld der

BU-Alternativen immer stärker für sich.

Der deutlich erschwerte Zugang zu vernünftigen und auch bezahlbaren BU-Versicherungen hat eine Entwicklung beschleunigt, die vor vorhandene BU-Alternativen, beizeiten noch die Nase gerümpft und von einem Nischendasein dieser Policen gesprochen, so entdecken sie in der jüngeren Vergangenheit dieses Geschäftsfeld immer stärker für sich. Ob Erwerbsunfähigkeits-, Grundfähigkeits-, Funktionsinvaliditätsversicherung oder Dread Disease – locker kommen diese Begriffe mittlerweile in der Kundenberatung daher. Verantwortlich dafür ist jedoch die Versicherungswirtschaft selbst, die mit dem Rückgang der BU-Neuabschlüsse natürlich nicht glücklich sein kann und gefährdetes Terrain über die BU-Alternativen um jeden Preis sichern will. Auch weil sie sich angesichts der vor einigen Jahren von ihr groß ausgerufenen Biometrie-Kampagne sonst ein Glaubwürdigkeitsproblem einhandeln würde.

Weniger denn je darf der reine Produktverkauf im

Vordergrund stehen – die sorgfältige Analyse des

tatsächlichen Bedarfs ist das A und O der Kundenberatung.

Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Schreiner oder Autoschlosser. Seinen tatsächlichen Verdienst wird er kaum in voller Höhe über eine BU abdecken wollen, weil das für ihn zu teuer wäre. Stattdessen muss der Makler gemeinsam mit ihm eine sinnvolle Mischung schaffen, also beispielsweise eine in der Höhe abgespeckte Berufsunfähigkeitsversicherung mit einer Erwerbsunfähigkeitsdeckung und einer Dread Disease-Absicherung. Dies gilt auch, wenn sie Freiberufler oder Unternehmer vor sich sitzen haben. Gerade für Dread Disease finden Makler spezielle Zielgruppen vor, wie Buddecke erklärt: „Immer dann, wenn ein hohes Kapitalrisiko vorliegt, ist die Dread Disease eine sinnvolle Option. Wenn etwa ein Unternehmer oder Spezialist nicht so leicht ersetzt werden kann, also Schlüsselpersonen in Betrieben. Selbstständige und Häuslebauer sind klassische Zielgruppen, aber auch Hausfrauen zum Beispiel. Wenn etwa eine Mutter kleiner Kinder wegen einer schweren Krankheit ausfällt, muss der Vater in seinem Job zurückstecken und es entsteht sofort ein Kapitalbedarf." (hwt)

finanzwelt Special 03/2015 Biometrie – bAV – bKV