Deutschland: Wege aus dem Stillstand
20.12.2024
François Rimeu. Foto: La Française AM
Im besten Fall sollte das deutsche Wirtschaftswachstum 2024 konstant geblieben sein. Die aktuellen Konsensprognosen gehen von einem Anstieg um 0,6 % im Jahr 2025 aus. Dies ist zwar eine Verbesserung, bleibt aber enttäuschend schwach. Kürzlich hat die Bundesbank ihre Prognosen drastisch nach unten korrigiert und rechnet nun für 2025 mit einem Wachstum von nur noch 0,2 % (gegenüber der vorherigen Schätzung von 1,1 %). Wir sind nicht optimistischer als die Bundesbank.
Die Probleme bleiben dieselben und sind auf die politischen Entscheidungen zurückzuführen, die die deutsche Regierung in den letzten Jahren getroffen hat.
- Deutschland verlässt sich derzeit darauf, erneuerbare Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen erzeugen und gleichzeitig eine konstante Verfügbarkeit gewährleisten zu können. Die letzten Wochen haben jedoch gezeigt, wie schwierig dies ist - vor allem, wenn die Zahl der Sonnen- und Windstunden abnimmt. Dieses Phänomen ist als „Dunkelflaute“ bekannt und hat zu einem erheblichen Anstieg der kurzfristigen Strompreise geführt. Die deutsche Energiepolitik ist bisher gescheitert: Sie ist gekennzeichnet durch eine instabile Produktion, schwankende Preise und eine anhaltende Abhängigkeit von Kohle.
- Der breitere Industriesektor macht einen bedeutenden Teil der deutschen Wirtschaft aus (20 % der Wertschöpfung und über 16% der Arbeitsplätze, Quelle: Direction Genérale du Tresor, Daten vom 31.12.2023). Solange Deutschland nicht in der Lage ist, seine Industrien zu wettbewerbsfähigen Preisen mit Energie zu versorgen, ist ein deutlicher Aufschwung unrealistisch.
- Die Folgen hoher Energiepreise betreffen nicht nur den Industriesektor. Auch die Lebensmittelpreise, die an die Gaspreise (für Düngemittel unverzichtbar) gekoppelt sind, sind stark angestiegen. Infolgedessen müssen deutsche Verbraucher hohe Preise für nicht substituierbare Güter, d. h. Energie und Nahrungsmittel, zahlen, was die weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten unverhältnismäßig stark trifft. Dies untergräbt die verfügbaren Ersparnisse und das Verbrauchervertrauen, was logischerweise zu stagnierendem Konsum in Deutschland führt. Dieser Trend ist auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten, wie in Frankreich.
Die Grafik zeigt, wie unterschiedlich sich die Situation in Deutschland und Spanien entwickelt hat, und verdeutlicht, warum die deutsche Wirtschaft stagniert, während Spaniens Wirtschaft eine positive Entwicklung aufweist. Die spanische Zentralbank hat ihre Wachstumsprognose für 2025 sogar von 2,2 % auf 2,5 % nach oben korrigiert, und für 2024 wird ein Wachstum von etwa 3 % erwartet. Es gibt noch weitere Faktoren („NextGenerationEU“, Tourismus in Spanien, fiskalische Anreize usw.), doch bleibt der unterschiedliche Zugang zu preiswerter Energie unserer Ansicht nach der wichtigste Faktor.
Zur Erinnerung: Die Strompreise auf den europäischen Märkten werden durch Grenzkosten bestimmt (die Kosten für die Erzeugung einer weiteren MWH Strom). Die schwachen Verbundnetze zwischen Spanien und Portugal einerseits und dem übrigen europäischen Markt andererseits erklären die Einführung der „iberischen Ausnahme“ und warum die Energiepreise in Spanien und Portugal derzeit deutlich niedriger sind.
Solange die Energieprobleme in Deutschland nicht gelöst sind, dürfte eine nennenswerte Erholung der deutschen Wirtschaft schwer zu erwarten sein. Es gibt jedoch einige Gründe zur Hoffnung. Eine Erholung der chinesischen Wirtschaft wäre eine gute Nachricht für die deutschen Exporte. Allerdings ist dies nicht unser Basisszenario – eine Stabilisierung scheint wahrscheinlicher. Die Wahlen in Deutschland Anfang 2025 könnten zu verstärkten fiskalischen Impulsen führen. Angesichts der für eine Verfassungsänderung erforderlichen Zweidrittelmehrheit wird es schwierig sein, in dieser Frage einen politischen Konsens zu erzielen. Fiskalische Anreize könnten notwendig sein, um möglichen Maßnahmen einer Trump-Regierung gegen Deutschlands erheblichen Handelsüberschuss mit den USA zu begegnen.
Marktkommentar von François Rimeu, Senior Market Strategist, Crédit Mutuel Asset Management.