Der (erfolgreiche) Kampf gegen Krisenherde?
27.10.2022
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China war für lange Zeit das Maß der Dinge. In der Volksrepublik ging es wirtschaftlich nur nach oben. Doch spätestens mit Ausbruch von Corona haben sich diese Vorzeichen verändert. Es ist zunehmend Sand im Getriebe. Die entscheidende Frage lautet, wann und mit welcher Kraft die Erholung stattfindet. Ein Zwischenfazit kurz vor dem bevorstehenden 20. Parteitag.
„Mehrere große chinesische Städte haben ihre Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie verschärft und damit Sorgen vor erneuten wirtschaftlichen Schäden geschürt“, titelte die Deutsche Welle (DW) Ende August 2022. Das mag im globalen Kontext skurril erscheinen. Die Pandemie und ihre Konsequenzen sind global gesehen etwas in den Hintergrund gerückt, aber im Reich der Mitte hat die Corona-Bekämpfung nach wie vor oberste Priorität. Zero-COVID ist das Schlagwort. Und die Folgen dieser rigorosen Politik sind ablesbar. In den Vor-Coronajahren waren es nach offizieller Lesart immer noch um die 7 % Wachstum p. a. Die Pekinger Führung hatte die Zügel stets im Griff. 2022 liegt das ehrgeizige Wirtschaftswachstumsziel bei 5,5 %. Und auch das ist mittlerweile in weite Ferne gerückt.
Kampf an mehreren Fronten
Der wirtschaftliche Rückgang ist aber nicht monokausal begründet. Auch das Sorgenkind des heimischen Immobilienmarkts drückt Stimmung und Aussichten. „Chinas Wirtschaftsrückgang im 2. Quartal spiegelte die Auswirkungen der strengen Corona-Politik wider, die Lieferketten und Wirtschaftstätigkeit ins Straucheln brachte. Seitdem sind jedoch einige Lichtblicke zu erkennen, da die Beschränkungen gelockert wurden und die Großstädte ihre vorübergehenden Schließungen aufhoben. Aus unserer Sicht ist es noch zu früh für deutliche Anzeichen einer Erholung der chinesischen Wirtschaft. Aber wir bleiben optimistisch, was die wirtschaftlichen Aussichten angeht“, sagt Nicholas Yeo, Director and Head of Equities China, bei abrdn. Warren Hyland, Portfolio Manager, Muzinich & Co. sieht die aktuelle Lage ähnlich und verweist mit Blick auf 2023 auf eine Wachstumsrate von 4,5 %.
Mittel der Zinssenkung
Zweifellos, ganz abgesehen von der aktuellen Krise, ist das Wirtschaftswachstum strukturell niedriger als im letzten Jahrzehnt. Nicht die reine Quantität, sondern die Qualität der Wachstumsdynamik steht im Vordergrund. Im Gegensatz zu vielen westlichen Ländern hat Peking aber die Möglichkeit der Zinssenkung und macht davon auch Gebrauch. „Die People‘s Bank of China ist eindeutig darauf bedacht, die Wirtschaft zu stützen, wie die jüngste, überraschende Zinssenkung zeigt, wirft Portfoliomanager Hyland ein. Erst Ende August griff die chinesische Zentralbank mit einer erneuten Zinssenkung der von der Immobilien- und Corona-Krise geschwächten Wirtschaft sprichwörtlich unter die Arme. Der Schlüsselsatz für einjährige Kredite (LPR) wurde auf 3,65 % gesenkt, derjenige für fünfjährige Kredite fiel auf 4,30 %. Die Frage wird sein, inwieweit die bereits vorgenommenen Zinssenkungen wirken (können). Geht es bei gesenktem Niveau automatisch wieder aufwärts mit der Wirtschaftsleistung? Jin Xu, Portfoliomanager Asian Equities, und Lin Jing Leong, Research Analyst bei Columbia Threadneedle Investments kommentieren in diesem Zusammenhang: „Weitere Zinssenkungen werden die Nachfrage am Rande unterstützen, aber sie reichen nicht aus. Das mangelnde Vertrauen in die Zukunftsaussichten dämpft die Kreditnachfrage, nicht die Finanzierungskosten. Die Regierung muss mehr Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Immobiliensektor ergreifen, um das Vertrauen der Hauskäufer (in die tatsächliche Übergabe ihrer neuen Häuser) wiederherzustellen und kurzfristige soziale und systemische Risiken zu vermeiden”.
Die Probleme auf dem chinesischen Immobilienmarkt sind keineswegs trivial. Zwischenzeitlich verweigerten viele Bürger die Hypothekenzahlungen für nicht fertiggestellte Wohnungen. Ihr Zorn richtet sich in erster Linie gegen die Bauträger, die in Schieflage geraten sind. Nachdem Präsident Xi Jinping in der Vergangenheit gegen große Technologieunternehmen vorgegangen ist und hierfür deren Marktstellung zum Anlass nahm, ist nunmehr die Politik gefordert, an dieser Stelle Klartext zu reden. Will Peking sämtliche taumelnde Bauträger finanziell helfen oder lässt man einige in die Pleite gehen. Das ist die zentrale Herausforderung.
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