Der einzige Weg führt nach oben – Investitionen in vertikale Landwirtschaft

23.02.2022

Rahul Bhushan, Mitgründer Rize ETF / Foto: © Rize ETF

Nach Angaben des World Wildlife Fund ist die weltweite Nahrungsmittelproduktion derzeit für ein Drittel der Treibhausgase, 80 % der Entwaldung, 70 % des Verlustes an terrestrischer Biodiversität und für 70 % des gesamten Süßwasserverbrauchs verantwortlich. Und dabei liegt es auf der Hand, dass unsere Nahrungsmittelproduktion noch drastisch gesteigert werden muss, um die steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln bei wachsender Bevölkerung zu decken.

Was wäre, wenn es eine Lösung gäbe, um unsere wachsende Bevölkerung auf nachhaltige Weise zu ernähren? Eine Lösung, die besser für den Planeten und widerstandsfähiger und flexibler gegenüber klimatischen Unsicherheiten und Unterbrechungen der Lieferketten ist? Was wäre, wenn diese Lösung auch näher am Verbraucher wäre, höhere Ernteerträge brächte und weniger Wasser und Land verbrauchen würde als herkömmliche Anbaumethoden?

Die vertikale Landwirtschaft bietet genau das und entwickelt sich zu einem aufstrebenden Sektor

Unter dem Begriff vertikaler Landwirtschaft versteht man die Praxis des Anbaus von Nutzpflanzen in vertikal gestapelten Schichten. Normalerweise werden dabei Methoden der kontrollierten Landwirtschaft (Controlled Environment Agriculture, CEA) eingesetzt, die darauf abzielen, Wachstumsbedingungen zu optimieren. Diese Systeme werden in der Regel in geschlossenen Strukturen untergebracht, wodurch Umweltfaktoren wie Luft, Temperatur, Licht, Wasser, Feuchtigkeit, Kohlendioxid und Pflanzennahrung kontrolliert werden können.

In der Regel macht sich vertikale Landwirtschaft auch erdelose Anbautechniken wie Hydroponik (mit Nährstoffen angereichertes Wasser), Aquaponik (Fische fressen die Pflanzen und produzieren einen natürlichen Dünger) und Aeroponik (Anbau von Pflanzen in Luft oder Nebel) zu Nutze.

Landwirtschaft erreicht neue Dimensionen

Vertikale Anbausysteme wurden in Gebäuden, Tunneln, Schiffscontainern und sogar in verlassenen Minenschächten errichtet. Per 2020 befinden sich weltweit schätzungsweise 30 Hektar vertikale Anbauflächen in Betrieb.

Diese vertikalen Anbauflächen werden derzeit hauptsächlich für den Anbau verschiedener Kräuter, Salate und Blattgemüse genutzt. Es gibt jedoch Stimmen, die prophezeien, dass in der Zukunft ganze Obst- und Gemüsekörbe mit Hilfe von CEA-Techniken angebaut werden.

Da die Weltbevölkerung wächst und der Kampf gegen den Klimawandel an Fahrt gewinnt, bieten vertikale Farmen die Lösung für gleich mehrere Probleme. Ihre Vorteile sind vielfältig und reichen von einer effizienteren Wasser- und Flächennutzung und einem geringeren Einsatz von Pestiziden bis hin zu einem geringeren Transportaufwand, da die Lebensmittelproduktion näher an die städtischen Zentren verlegt werden kann. Darüber hinaus bietet vertikale Landwirtschaft die Möglichkeit der ganzjährigen Produktion und Schutz vor Umweltschocks, darunter ungünstige Wetterereignisse.

Landwirtschaft im Umbruch

Eines Tages könnten wir Bananen essen, die in einer europäischen Stadt angebaut werden. Die Befürworter einer nachhaltigeren Landwirtschaft setzen große Hoffnungen in vertikale Farmen.

Anders Riemann, Geschäftsführer des dänischen Unternehmens Nordic Harvest, das die größte vertikale Farm Europas betreibt, plant den Anbau von 1000 Tonnen Spinat, Rucola, Basilikum, Minze und Koriander pro Jahr, der zu 100 % mit zertifizierter Windenergie betrieben werden soll. Laut Riemann würde der Anbau der gleichen Menge an Produkten mit herkömmlichen landwirtschaftlichen Methoden 467 Hektar Land (das entspricht der Größe von 467 Rugbyfeldern) erfordern.

Auf der anderen Seite des Wattenmeers in den Niederlanden ist Erez Galonska, Mitbegründer des niederländischen Vertical-Farming-Start-ups Infarm, überzeugt, dass die vertikale Landwirtschaft nicht nur für Blattgemüse geeignet ist. Derzeit baut das Unternehmen mehr als 70 verschiedene Sorten von Kräutern, Salaten und Blattgemüse an. Infarm wurde vor kurzem durch eine Finanzierungsrunde in Höhe von 200 Mio. Dollar, durch die das Unternehmen im Dezember 2021 zu einer Bewertung von über 1 Mrd. Dollar kam, zu Europas erstem Einhorn der vertikalen Landwirtschaft. Das Unternehmen plant bereits, sein Portfolio bis Ende 2022 u. a. um Pilze, Erbsen und Erdbeeren zu erweitern.

Vertikale Anbaubetriebe sind auch in Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich auf dem Vormarsch. So gibt es in Deutschland bereits die Association for Vertical Farming, die "führende globale Non-Profit-Organisation, die den internationalen Austausch und die Zusammenarbeit ermöglicht, um die Entwicklung der Indoor/Vertical-Farming-Branche zu beschleunigen". In Frankreich hat das Vertical-Farming-Startup Jungle kürzlich 42 Mio.Euro für die Gründung eines Farming-as-a-Service-Unternehmens aufgebracht, das nun Farmen im Auftrag von Drittanbietern unterhält. Das Unternehmen bewirtschaftet bereits einen über einen halben Hektar großen Betrieb in der französischen Region Aisne. Im Vereinigten Königreich erntet das in Worcestershire ansässige Unternehmen Shockingly Fresh bereits Tausende von Pak Choi- und Salatbündeln, die für die Supermarktregale bestimmt sind - in ihrem Fall in einer Farm mit natürlicher Beleuchtung.

Aus zarten Keimen entstehen große Früchte

Diese Branche steht noch ganz am Anfang. Wenn die vertikale Landwirtschaft ihr Potenzial zur weltweiten Steigerung der Obst- und Gemüseproduktion ausschöpfen soll, muss die Vielfalt der Pflanzen, die in Innenräumen angebaut werden können, zunehmen.

Die CRISPR-Technologie ermöglicht zum Beispiel den vertikalen Anbau von Gurken und sogar Mangos. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass Weizen oder Reis jemals in Innenräumen angebaut werden könnte, doch dürften städtische Farmen großes Interesse an Pflanzen haben, die wertvoll und zugleich leicht verderblich sind, und bei denen Frische und geografische Nähe zum Verbraucher entscheidend sind.

Wenn diese Anwendungen der Gentechnologie zur Veränderung der Pflanzenarchitektur erfolgreich sind, könnten zunächst die an Sträuchern und Weinstöcken wachsenden Obst- und Gemüsesorten wie Himbeeren, Blaubeeren, Gurken, Paprika und Weintrauben ihren Weg in vertikale Farmen finden. Als nächstes werden wahrscheinlich Spezialkulturen wie Hopfen, Vanille, Safran und Kaffee folgen. Es ist sogar möglich, dass eines Tages kleine Bäume wie Schokoladen- und Mandelbäume in Innenräumen angebaut werden.

Damit das geschehen kann, gibt es noch viele Herausforderungen. Zum einen müssen die Kapital- und Betriebskosten für kontrollierte Landwirtschaft drastisch sinken. Wenn man sich jedoch an Wrights Gesetz – das betriebswirtschaftliche Konzept der Erfahrungskurve –hält, sollte dies eher früher als später geschehen.

Ein Gastbeitrag von Rahul Bhushan, Mitgründer Rize ETF