„Der Beratungsansatz muss ganzheitlich sein“

22.07.2015

Michael Albrecht

Wer sich mit der Verbreitung biometrischer Absicherungen beschäftigt, stößt rasch auf etliche Großbaustellen. Mit Neuverträgen zur Berufsunfähigkeitsversicherung kommen Makler bei immer mehr Menschen wegen der großen Beitragsspreizung zwischen den einzelnen Berufsgruppen nicht mehr zum Zuge.

Sie müssen deshalb auf Alternativen ausweichen, die aber immer nur Ausschnittdeckungen sind. Und in der Pflegeversicherung herrscht auch nach zwei Jahrzehnten weitgehender Vertragsnotstand, sieht man einmal von der geförderten Pflege ab. finanzwelt sprach über diese Probleme mit Michael Albrecht, Hauptabteilungsleiter Maklervertrieb bei den Barmenia Versicherungen.

finanzwelt: Berufsunfähigkeitsversicherungen gelten bei vielen Menschen als zu teuer. Deshalb lassen sie einen Vertragsabschluss schnell gleich ganz auf sich beruhen. Welche positive Rolle könnte der Arbeitgeber hier übernehmen?

Albrecht: Die reine Invaliditätsabsicherung über den Weg einer Direktversicherung im Rahmen der bAV nach § 3 Nr. 63 EStG kann für den Arbeitgeber wie Arbeitnehmer durchaus eine interessante Option sein. Und wird der Arbeitgeber gewechselt, kann die Direkt-BU mitgenommen werden – Stichwort Portabilität. Zudem gibt es noch einige weitere finanzielle Vorteile: Die Beiträge sind beim Arbeitnehmer bis zu 4 % der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung steuer- und sozialversicherungsfrei. Und damit wird die dringend benötigte Arbeitskraftabsicherung auch für Arbeitnehmer der höheren Berufsgruppen – etwa bei Handwerkern – auch wieder bezahlbar. Und: Auch für den Arbeitgeber sind die Beiträge im Jahr der Zahlung als Betriebsausgabe voll abzugsfähig. Insofern ist die BU-Absicherung über den Arbeitgeber durchaus attraktiv.

finanzwelt: Auch die aktuelle Bundesregierung hatte sich ja ein vermeintliches Patentrezept einfallen lassen. Aber: Hat die Barmenia bis heute überhaupt schon einen einzigen steuerlich geförderten BU-Vertrag mit Kontrahierungszwang abgeschlossen?

Albrecht: Die Barmenia Lebensversicherung hat bisher keine Verträge mit Kontrahierungszwang vereinbart. Vielmehr erfolgt stets eine Prüfung der Gesundheitsverhältnisse der zu versichernden Person, wobei in der Kollektivversicherung je nach Art und Größe des zu versichernden Kollektivs mit vereinfachten Fragen beziehungsweise Dienstobliegenheitserklärungen gearbeitet werden kann.

finanzwelt: Gefordert ist in diesem Zusammenhang auch der freie Vertrieb. Was muss er besser machen? Benötigt er neue Beratungsansätze – etwa über die Generationenberatung?

Albrecht: Nein, der Beratungsansatz im Bereich der Biometrie muss weiter ganzheitlich von der Arbeitsunfähigkeit bis zur Pflege, aber immer in Bezug auf die Arbeitskraft und die biometrischen Risiken des Einzelnen, geführt werden. Das Marktsegment „Biometrie-Produkte“ zählt zu den Wachstumsträgern im Versicherungsgeschäft. Unabhängige Versicherungsmakler gehen dort von steigender Nachfrage aus. Das mag kaum verwundern: Während andere Sparten wie die klassische Lebensversicherung kritisch in den Medien diskutiert werden, betont bei Biometrie-Risiken sogar der Verbraucherschutz, wie wichtig eine Absicherung ist. Viele Jahre hat sich der Wettbewerb darauf konzentriert, die BU immer besser und leistungsfähiger zu machen. Das Produkt hat im internationalen Vergleich schon lange „Weltmeister-Niveau“. Jetzt ist es Zeit, sich mehr den Menschen – hier den Erwerbstätigen – zu widmen, um eine sinnvolle Arbeitskraftsicherung anzubieten.

finanzwelt: Zu einem ganz anderen Bereich der Biometrie: Sorgt die geförderte Pflegeversicherung – zusammen mit der sozialen Pflegeversicherung – für eine allzu trügerische Sicherheit bei den Menschen?

Albrecht: Das mag zum Teil so sein, aber nach all den Diskussionen in Politik und Gesellschaft sollten die Menschen heute ein stückweit sensibilisiert sein und wissen, dass die geförderte Pflegeversicherung nie dazu gedacht war, die Pflegelücke vollständig zu schließen. Vielmehr war sie von Anfang an als zusätzlicher Baustein in der individuellen Vorsorge gedacht.

finanzwelt: In wenigen Jahren kommen die Babyboomer ins potenzielle „Pflegealter“. Für die soziale Pflegeversicherung kann dies ein echter Prüfstein werden. Auch für die Privatversicherer?

Albrecht: Anders als die soziale Pflegepflichtversicherung funktioniert die private Pflegepflichtversicherung nach dem Prinzip der Kapitaldeckung: Die Versicherten bilden Alterungsrückstellungen und sorgen damit für ihr steigendes Pflegerisiko im Alter vor. So gewährleistet die private Pflegepflichtversicherung auch in einer alternden Gesellschaft stabile Beiträge ohne nachfolgende Generationen zu belasten. Eine kapitalgedeckte Finanzierung, bei der große Teile der Beitragsgelder angelegt werden und als Vorsorge für steigende Kosten in der Zukunft dienen, ist im Gegensatz zur sozialen Pflegepflichtversicherung gegen demografisch bedingte Beitragssatz-Steigerungen geschützt. Gleichwohl bieten beide Absicherungen nur einen „Teilschutz“. Denn anders als in der Krankenversicherung ist der Leistungsanspruch der Versicherten bei der Pflege gleich. Eine zusätzliche Absicherung ist also auch hier unabdingbar. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die staatlich geförderte Pflegeversicherung initiiert: Um möglichst vielen Menschen ohne Gesundheitsprüfung einen Einstieg in die kapitalgedeckte Pflegeversicherung zu ermöglichen.

finanzwelt: Wäre es nicht an der Zeit, ein Pflegeversicherungsprodukt nach Art der Sachversicherung zu kalkulieren?

Albrecht: Gerade im Bereich der Pflegeversicherung ist Kapitaldeckung besonders wichtig. Das Risiko, pflegebedürftig zu werden, steigt statistisch gesehen mit zunehmenden Alter sehr stark an. Daher ist es entscheidend, bereits in jungen Jahren dafür angespart zu haben. Bei einem Pflegeversicherungsprodukt, das nach Art der Schadenversicherung – also ohne Alterungsrückstellung – kalkuliert ist, wird nicht für das Alter angespart, die Beiträge steigen mit zunehmendem Alter der Versicherten. Insbesondere im hohen Alter, wenn das Pflege-Risiko am größten ist, würden sich die Beiträge sehr stark erhöhen und die Versicherten zusätzlich, gegebenenfalls über ihre finanziellen Möglichkeiten hinaus, belasten. Daher ist Kapitaldeckung im Bereich der Pflegeversicherung sehr wichtig. (hwt)

Printausgabe 04/2015