Chinas seltene Erden

13.09.2015

Dr. Ekkehard J. Wiek

Vor fast genau vier Jahren erschreckte China die Technologiebranche der gesamten Welt. Künftig würden gut zehn Prozent weniger der für zahlreiche High-Tech-Produkte wichtigen „Seltenen Erden“ exportiert, teilte das Wirtschaftsministerium in Peking mit.

Die Hersteller von Computerchips, Mobiltelefonen, Windkraftanlagen oder Assistenzsystemen in Autos stöhnten auf. Die Märkte für die begehrten Metalle hatten schon in den Jahren zuvor verrückt gespielt. Denn auch in den Vorjahren hatte China den Export sukzessive gedrosselt und so war der Preis etwa für Dysprosium seit 2006 um das Vierzigfache gestiegen – von 60 US-Dollar auf 2.400 US-Dollar pro Kilogramm. Bei den Preisen für Lanthan und Cer hatte es zeitweise sogar eine Versechzigfachung gegeben. Wo sollte das nur enden?

Chinas Ankündigung endete zunächst einmal vor der Beschwerdekommission der Welthandelsorganisation WTO. Dort hatten die USA, die EU und Japan Klage gegen China wegen unzulässiger Wettbewerbsvorteile eingereicht und das Schiedsgericht der WTO hatte im März vergangenen Jahres im Sinne der Klageführer entscheiden. Jetzt, neun Monate nach dem Schiedsspruch, hob China die Exportbeschränkungen wieder auf. Als partnerschaftlich agierender Wettbewerber komme man damit selbstverständlich den „Empfehlungen“ der WTO nach, hieß es in staatlichen chinesischen Medien.

Doch ganz so selbstlos, wie es in den offiziellen Verlautbarungen dargestellt wurde, war die Entscheidung Chinas dann doch nicht. „Ohne seltene Erden keine Handys und keine Computer…“ und „China hat das Monopol…“, das waren Sätze, mit denen man technikaffinen Mediennutzern in der westlichen Welt lange Zeit einen schaurig-schönen Gruselmoment bescheren konnte.

Allerdings entsprachen sie nie so ganz der Realität. Denn seltene Erden sind in Wirklichkeit gar nicht so selten. Schon ihr Name ist falsch gewählt, eigentlich müsste es „Metalle der seltenen Erden“ heißen. Die ersten dieser Metalle wurden Ende des 18. Jahrhunderts in Schweden entdeckt. Sie kamen in (damals) seltenen Mineralien vor und wurden in Form ihrer Oxide – Sauerstoffverbindungen, die früher auch „Erden“ genannt wurden – isoliert.

Wirklich selten sind die Seltenerdmetalle nicht, sie kommen überall vor, allerdings in kleinen Mengen. Größere, wirtschaftlich rentable bekannte Lagerstätten sind tatsächlich spärlich gesät. 90 Prozent, bei einigen der insgesamt 17 Seltenerdmetalle sogar 97 Prozent, stammen aus China. Das hat seinen Grund. Die Isolation der Seltenerdmetalle ist vergleichsweise aufwendig und häufig mit starker Umweltbelastung verbunden. Die Metalle werden mit Säuren aus Bohrlöchern und Erzen gewaschen, dabei entstehen schwierig zu entsorgende Abfallprodukte und giftige Abwässer, bei der Gewinnung mancher der Hightech-Metalle entsteht Radioaktivität.

Mit anderen Worten: Die Gewinnung von Seltenerdmetallen ist eine riesige Umweltsauerei und dieses schmutzige Geschäft überließ man nicht ungern den Chinesen, die die begehrten Metalle unter Vernachlässigung der Umweltkosten zu akzeptablen Preisen auf den Weltmärkten anboten. Ende der 2000er Jahre trat China beim Raubbau an der Umwelt auf die Bremse – die Bevölkerung begann wegen der verseuchten Flüsse und Seen zu murren und die Folgekosten wurden einfach zu hoch.

Die Preiskapriolen um die Jahrtausendwende ließ die High-Tech-Industrie zudem nach effizienteren Produktionsverfahren und Ersatzmaterialien suchen. Mit großem Erfolg: Allein von 2011 auf 2012 sank der Verbrauch an Seltenerdmetallen um 20 Prozent, bei weiter boomendem Handy-, Computer- und Tablet-Markt. Zu allem Überfluss begannen die westlichen Industriestaaten nun ernsthaft nach eigenen Lagerstätten zu suchen. Auch das mit Erfolg: Selbst im ostdeutschen Storkwitz bei Halle fand man abbauwürdige Vorkommen. Last but least stecken riesige ungenutzte Kapazitäten im Recycling von Elektroschrott. In Deutschlands Schreibtischschubladen werden rund 80 Millionen alter Handys vermutet. Darin verborgen 500 bis 1.000 Kilogramm Seltenerdmetalle – eine auf dem Markt durchaus relevante Menge.

Chinas Rücknahme der Exportbeschränkung basiert daher auf einer reinen Kosten-/Nutzenabwägung. Es scheint lohnender zu sein, die bestehende gute Marktposition unverändert zu nutzen, aber den Bogen nicht durch künstliche Verknappung zu überspannen, denn es gibt offenbar Alternativen zu Chinas Angebot, bis hin zum kompletten Austausch einzelner Seltenerdmetalle durch andere Werkstoffe. Und man hatte gerade erst begonnen, danach zu suchen.

Autor: Dr. Ekkehard J. Wiek, Vermögensverwalter und Asien-Fondsmanager, Straits Invest Pte Ltd in Singapur