China: Widrigkeiten erschweren Erholung
07.09.2022
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Die Supermacht China muss 2022 erkennen, dass der bis dato eingeschlagene Wachstumspfad an seine Grenzen gestoßen ist. Zwar gibt es noch Wachstumsimpulse, doch die Zeiten des überdurchschnittlichen Anstiegs sind vorbei. Zudem ist Covid-19 nach wie vor ein Thema im Land, das sich strengen Beschränkungen unterwirft. finanzwelt sprach mit zwei China-Experten, David Rees, Senior EM Economist, und Chloe Shea, Investment Director bei Schroders.
finanzwelt: Wie bewerten Sie die ökonomische Situation in China? David Rees / Chloe Shea: Die chinesische Wirtschaft ist bereits geschrumpft, nachdem die Produktion im zweiten Quartal um saisonbereinigte 2,6 % gegenüber dem Vorquartal zurückgegangen war, da strenge Beschränkungen zur Eindämmung von Covid-19 verhängt worden waren. Doch obwohl die Produktion stärker als erwartet schrumpfte, verbergen die schwachen Schlagzeilen die Tatsache, dass sich die Wirtschaftstätigkeit im Laufe des zweiten Quartals aufgrund der Lockerung der Einschränkungen und der Freisetzung der aufgestauten Nachfrage bereits stark erholt hat.
Mit Blick auf die Zukunft wird sich China wahrscheinlich weiter von den Auswirkungen der Covid-19-bedingten Lockdowns erholen, begünstigt durch die politische Unterstützung, die gerade erst anfängt, Wirkung zu zeigen. Frühindikatoren wie der Kreditimpuls und das Wachstum der realen knappen Geldmenge signalisieren seit einiger Zeit, dass die Wirtschaft ab dem Ende des dritten Quartals eine nachhaltigere zyklische Erholung erleben wird. Allerdings ist die Vorhersage von Wendepunkten nie eine exakte Wissenschaft, und mehrere Faktoren deuten darauf hin, dass der Aufschwung mit einer Reihe von Widrigkeiten zu kämpfen haben wird. So könnte das Kreditwachstum im Juni seinen Höchststand erreicht haben, und die Stimmung im Immobiliensektor bleibt schwach. Auch die außenwirtschaftlichen Aussichten dürften sich verschlechtern, was zu einer Verlangsamung des Exportwachstums führen könnte. Die People's Bank hat bereits zwei ihrer wichtigsten Leitzinssätze gesenkt, so dass die Möglichkeit besteht, dass die Zinssätze weiter fallen könnten.
finanzwelt: Werden weitere Zinssenkungen die Wirtschaftsflaute beenden? Rees / Shea: Obwohl sich das Zeitfenster für eine größere Lockerung schließt, wird die People's Bank of China wahrscheinlich weitere Zinssenkungen vornehmen und eine unterstützende Haltung beibehalten. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass eine Lockerung der Geldpolitik allein das Wachstum stabilisieren kann, da andere zyklische Belastungsfaktoren bestehen bleiben. Weitere Anzeichen, die wir beobachten, sind: die Lockerung der Null-Covid-Politik, eine proaktivere Haltung der Regierung zur Beendigung der Hypothekenkrise und zur Stimulierung des Immobiliensektors, eine wieder proaktivere Steuerpolitik usw.
finanzwelt: Welche Signale werden vom bevorstehenden Parteitag ausgehen? Rees / Shea: Wir halten die Stabilisierung der Binnenwirtschaft für vorrangig. Es könnten einige Formen von Strukturreformplänen mit Schwerpunkt auf allgemeinem Wohlstand, Umweltschutz, neuer Infrastruktur usw. eingeführt werden. Da sich die geopolitischen Risiken verschärft haben, werden unserer Meinung nach auch die „Dual Circulation“-Strategie Chinas, also die Politik der zwei Kreisläufe, und die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, Energie und Chips im Vordergrund stehen.
finanzwelt: Wie ist Ihr Ausblick bzgl. China für 2023? Wo sehen Sie Chancen, wo lauern Risiken? (Anleihen/Aktien) Rees / Shea: Mit Blick auf das Jahr 2023 dürfte sich Chinas Wirtschaft etwas erholen. Die Wirtschaft ist jedoch mit mehreren Widrigkeiten konfrontiert, die das Tempo der Erholung bremsen dürften. Die Behörden zögern, größere Konjunkturimpulse zu geben, die Null-Covid-Politik bleibt bestehen, und das außenwirtschaftliche und geopolitische Umfeld verschlechtert sich. Insgesamt führen die Abwärtskorrekturen beim Wachstum und die Aufwärtskorrekturen bei der Inflation dazu, dass sich unsere globale Prognose erneut in Richtung Stagflation bewegt. (ah)