Bestraft die Briten nicht zu hart!

12.04.2017

Axel D. Angermann, Chefvolkswirt von FERI / Foto: © FERI

Nun ist es also amtlich: Die britische Regierung hat den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union erklärt. Es folgt eine zweijährige Phase von Verhandlungen, in denen unzählige Details der Trennung und die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geklärt werden müssen. Bei aller Unsicherheit über diesen Prozess dürfte eines schon jetzt feststehen: Die Erwartungen der Brexit-Befürworter, sie könnten trotz Austritt aus der EU weiterhin alle bisherigen Vorteile der Mitgliedschaft genießen, werden sich nicht erfüllen. Ein Club, der jedermann das Recht einräumt, Verpflichtungen nur nach eigenem Ermessen nachzukommen und unabhängig davon aber an den Club-Vorteilen partizipieren zu können, wird bald keine Mitglieder mehr haben. Entsprechend werden sich die EU-Unterhändler positionieren. Und tatsächlich sitzt die britische Regierung in diesen Verhandlungen an einem ziemlich kurzen Hebel: Der vom Lissaboner Vertrag vorgesehene Automatismus des Ausscheidens aus der EU wäre auch für den Fall, dass keine vertragliche Regelung zustande kommt, für Großbritannien sicher die schlechteste aller denkbaren Varianten. Entsprechend dürfte die Bereitschaft zu Zugeständnissen mit dem Näherrücken des 29. März 2019 zunehmen. Daraus wird mitunter gefolgert, die EU könne nun auf ihren Maximalpositionen beharren: Schlimmstenfalls gäbe es eben einen ungeordneten Austritt, und das wäre vielleicht gar nicht mal so schlecht, weil sich daran ein Exempel statuieren ließe, wie schlecht es abtrünnigen Mitgliedern des Clubs EU gehen könne. Diese Sichtweise verkennt freilich, dass ein ungeordneter Austritt Großbritanniens auch für viele EU-Länder eine denkbar schlechte Option wäre, die keineswegs den eigenen Interessen entspricht:

Die Verbindungen zwischen der EU und Großbritannien sind im Güterhandel, im Austausch von Dienstleistungen und in den gegenseitigen Direktinvestitionen so eng, dass es im beiderseitigen Interesse liegt, möglichst viel von einem freien Handel zwischen beiden Partnern zu bewahren. Die Vorteilhaftigkeit des Handels ist, bezogen auf einzelne Branchen, zwischen den Ländern so ausgeprägt, dass eine große Mehrheit der EU-Länder ein hohes Interesse an freiem Handel mit Großbritannien hat. Eine Verhandlungsführung auf Seiten der EU, die darauf keine Rücksicht nehmen wollte, würde sehr bald Spannungen innerhalb der EU befördern. Wie stark die wirtschaftlichen Verflechtungen nach Ländern und Branchen wirklich sind, zeigt FERI in einer aktuellen Untersuchung. Hier die wichtigsten Fakten im Überblick:

Güterhandel

  • Großbritannien exportierte im vergangenen Jahr Industrieprodukte im Wert von 165 Mrd. EUR in die EU, was knapp der Hälfte der Gesamtexporte entspricht. Hauptabnehmer dieser Exporte waren Deutschland (38 Mrd. EUR), Frankreich (22,5 Mrd. EUR), die Niederlande (22 Mrd. EUR), Irland (19 Mrd. EUR) und Belgien (14 Mrd. EUR).
  • Umgekehrt exportierten die EU-Länder im Jahr 2016 Industriewaren im Wert 276 Mrd. EUR nach Großbritannien, was auch hier fast die Hälfte der gesamten Importe des Landes ausmacht. Die größten Exporteure waren Deutschland (73 Mrd. EUR), die Niederlande (39 Mrd. EUR), Frankreich (28 Mrd. EUR), Belgien (27 Mrd. EUR) und Italien (18 Mrd. EUR).
  • In den meisten Branchen, auf die ein Großteil des Güterhandels mit Großbritannien entfällt, führt Deutschland als größter Exporteur der EU das Feld an, so in der Automobilindustrie, in der Chemie, bei pharmazeutischen Produkten und im Maschinenbau. Es sind insgesamt viele verschiedene Länder der EU in wichtigen Branchen eng in den Handel mit Großbritannien verflochten.

weiter auf Seite 2