Ausblick: Besser, aber Schwierigkeiten bleiben
07.12.2022
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Die Kapitalmarktexperten von Berenberg geben einen verhalten optimistischen Ausblick auf das neue Jahr. „Die Ausgangsbasis für Anleger in 2023 ist mit günstigeren Bewertungen, höheren Zinsen und dem noch immer weit verbreiteten Pessimismus deutlich besser als vor einem Jahr. Die Risikobereitschaft ist gering und die Kassenbestände sind hoch“, sagt Prof. Dr. Bernd Meyer, Chefanlagestratege und Leiter Multi Asset im Wealth und Asset Management von Berenberg. Allerdings rechnet er auch damit, dass sich die globale Wirtschaft zunächst noch weiter abschwächt, bevor es wieder aufwärts geht.
„Die globale Situation ist ungewöhnlich schwierig, um es milde auszudrücken. Aber all das ist keine Überraschung mehr“, fügt Berenberg-Chefvolkswirt Aus hinzu. Viele Risiken seien bekannt und an den Finanzmärkten insbesondere außerhalb der USA eingepreist. Demgegenüber habe sich die Nachrichtenlage für die drei großen Volkswirtschaften der Welt – die USA, China und die Eurozone – zuletzt im Großen und Ganzen weniger negativ entwickelt als befürchtet. „Vor allem ist die Gefahr, dass die US-Notenbank die Zinsen deutlich über 5 % anheben könnte, zurückgegangen“, so Schmieding.
Fokus der Märkte wechselt von Inflation zu Wachstum „Das wirtschaftliche Umfeld, das unsere Volkswirte prognostizieren, erscheint für die Finanzmärkte in 2023 insgesamt besser als vielfach erwartet“, führt Meyer weiter aus. Insbesondere dürfte der Fokus der Märkte von der Inflation zum Wachstum wechseln. „Das birgt Chancen und Risiken gleichermaßen“, so der Chefanlagestratege. Einerseits stünden die Chancen gut, dass die Wirtschaft in der Eurozone ihre Rezession bereits im Frühjahr wieder überwinden kann, andererseits dürften die Gewinnerwartungen bei den Unternehmen unter dem Strich zu optimistisch sein. „Bei zunehmendem Margendruck dürften die Gewinne kaum steigen“, erwartet Meyer.
Beim Blick auf die konjunkturelle Situation in der Eurozone ist „eine ernsthafte Rezession eingeläutet“, so Schmiedings Einschätzung. Aber er sieht auch positive Tendenzen: „Der jüngste Rückgang der Großhandelspreise für Gas und neue staatliche Unterstützungsprogramme tragen dazu bei, die Abwärtsrisiken zu begrenzen.“ Zwar werde das Verbrauchervertrauen in den kommenden Monaten wahrscheinlich weiterhin gedämpft bleiben. Erste Signale deuten darauf hin, dass sich die Lage in einigen Monaten stabilisieren könnte. Auch die anhaltend hohe Nachfrage nach Arbeitskräften grenze die Abwärtsrisiken ein. Schmieding geht weiter davon aus, dass Rohstoffpreise kaum noch steigen und Transportkosten im Laufe des kommenden Jahres sinken werden. „Das hilft, sowohl die Inflation zu dämpfen als auch die Wachstumskräfte zu stärken“, erklärt der Chefvolkswirt. „Deshalb rechnen wir damit, dass die Eurozone Mitte nächsten Jahres zum Wachstum zurückkehrt, das dann Ende 2023 und 2024 wieder kräftig ausfallen kann. Nach einem voraussichtlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung in der Eurozone von 0,6% in 2023 erwarten wir für 2024 ein Wachstum von 2,2%.“
USA: Höhepunkt der Inflation erreicht „In den USA verdichten sich die Anzeichen, dass der Inflations- und Lohndruck seinen Höhepunkt erreicht hat, was Hoffnung auf eine sanfte Landung der Wirtschaft nährt,“ so Schmieding. „Infolgedessen haben wir unsere Prognose für die Veränderung des realen US-BIP im nächsten Jahr von -0,3 % auf -0,1 % angehoben, für 2024 wird eine konjunkturelle Erholung um 1,2% erwartet.“
Durchwachsener Ausblick für China Auch für China könnte sich die Lage wieder etwas bessern. Berenbergs Chefvolkswirt erwartet, dass die Volksrepublik im Laufe des nächsten Jahres zu einem normalen Wachstum von gut 4% zurückkehren kann. Mit der langsamen Abkehr von der Null-Covid-Politik dürften sich auch Lierferkettenprobleme etwas entspannen. Langfristig steht China allerdings vor großen Problemen.
2023: Chancen in allen Anlageklassen „Anders als in den letzten Jahren sehen wir für 2023 Chancen in allen Anlageklassen“, lautet der positive Ausblick von Prof. Meyer für Anleger. „Anleihen bieten erstmals wieder ansehnliche Renditen, Risikoaufschläge haben sich ausgeweitet. Aktien sind nicht mehr übermäßig hoch bewertet, besonders in Europa und den Schwellenländern – und der Superzyklus bei Industriemetallen erscheint intakt“, führt er weiter aus. Der Fokus der Anleger sollte sich deshalb von der Aktienseite wieder zu einer breiten Aufstellung zur Nutzung der Rendite- und Diversifikationschancen aller Anlageklassen verschieben. Zumal nicht zu erwarten sei, dass Staatsanleihen und Aktien allzu bald wieder nachhaltig zur negativen Korrelation der letzten zwei Dekaden zurückfinden werden.
„Bei Aktien präferieren wir Europa und die Schwellenländer gegenüber den USA und haben mit Blick auf eine Konjunkturerholung später in 2023 bereits Small- und Mid-Caps wieder etwas höher gewichtet“, erläutert Chefanlagestratege Meyer. Gold und andere Rohstoffe, insbesondere Industriemetalle, seien weiterhin gegenüber Staatsanleihen vorzuziehen. Bei Unternehmens- und Schwellenländeranleihen neigt Meyer indes zum Übergewichten. „Erstmals seit 14 Jahren übersteigen die Renditen von Unternehmensanleihen hoher Qualität die Dividendenrenditen von Aktien deutlich“, begründet er. Zudem dürften die Renditen bei Unternehmens- und Schwellenländeranleihen anders als bei vielen Staatsanleihen eine mittelfristig im Durchschnitt höhere Inflation überkompensieren. Daneben bleiben Rohstoffe, insbesondere Industriemetalle, klare Gewinner des veränderten Umfelds und auch Schwellenländer wie Indien, Indonesien oder in Lateinamerika dürften profitieren.
Rückschlagsgefahr beachten Allerdings sollten auch die Risiken im neuen Jahr nicht außer Acht gelassen werden. „Mögliche neue Corona-Beschränkungen in China, eine eventuell milde Rezession der US-Wirtschaft erst später im Frühjahr, die hartnäckige Inflation in Europa oder die noch immer deutlich zu hohen Gewinnerwartungen sprechen dafür, dass der Weg nach oben auch 2023 nicht ohne Rückschläge verläuft – insbesondere im ersten Halbjahr“, erklärt Meyer. Die globale Inflation könnte später auch schneller als erwartet zurückkehren. „Wenn die Deglobalisierung, die Energiewende und die mittelfristig anhaltenden Angebotsengpässe bei Rohstoffen und Arbeitskräften auf eine Wachstumserholung treffen, könnten die Preise wieder deutlich ansteigen“, erläutert der Chefanlagestratege. „Das Ergebnis sind kürzere, stärkere und erratischere Inflations- und Wirtschaftszyklen, was die Planungsunsicherheit erhöht. Auf eine schnelle, nachhaltige Bewertungsausweitung bei Aktien sollten sich Anleger deshalb nicht verlassen. Auch wenn wir 2023 angesichts niedriger Risikopositionierungen und verbreitetem Pessimismus Erholungspotenzial bei Aktien sehen, bleibt das Potenzial begrenzt.“ (ah)