Auf der Überholspur im Internet
07.06.2015
Sollen alle gleich schnell im Internet unterwegs sein oder soll es eine Überholspur geben. Falls ja, wer darf die Überholspur nutzen? Geheimdienste, Polizei oder diejenigen die dafür einfach viel bezahlen?
2015-06-08 (fw/db) Eine Studie hat herausgefunden, dass die Auswahl unter den Internetprovidern bei Nutzern eng mit dem Thema Netzneutralität verbunden ist. Sie finden priorisierte Angebote zwar attraktiv, der freie und vor allem gleichberechtigte Zugang zu allen Internetangeboten bleibt aber unantastbares Grundrecht.
Eine digitale Überholspur für diejenigen, die tiefer in die Tasche greifen und höhere Gebühren zahlen, könnte das Ende des Internets bedeuten, so wie wir es derzeit kennen. Eine mögliche Aufhebung der Netzneutralität bringt Internetaktivisten, Blogger, Politiker und Lobbyisten auf die Barrikaden.
Normale Nutzer, oftmals bei dieser Debatte außen vorgelassen, sehen einen gleichwertigen und unbegrenzten Zugriff auf das Internet als ihr Grundrecht. In Deutschland stimmen mit einer Drei-Viertel-Mehrheit (78 Prozent) der Internetnutzer dieser Aussage zu. Eine heute veröffentlichte, repräsentative Studie von WIK-Consult, YouGov und Deloitte im Auftrag von BEREC (The Body of European Regulators for Electronic Communications) bestätigt diese Ergebnisse in vier untersuchten EU-Ländern. Laut der Mehrheit der befragten Verbraucher sollte jeder das Recht haben, auf alle Inhalte und auf sämtliche Anwendungen zuzugreifen, die online zur Verfügung stehen (81 Prozent Kroatien; 81 Prozent Tschechische Republik; 87 Prozent Griechenland; 72 Prozent Schweden; 84 Prozent Deutschland).
Einigen würden Vor-Rechte zugebilligt
Dennoch findet die Idee einer digitalen Überholspur im Internet zumindest für bestimmte Einrichtungen bei den meisten Verbrauchern in Europa Anklang: Mindestens jeder Zweite ist der Ansicht, dass der Internetverkehr von Regierungen oder offiziellen Institutionen wie Polizei, Feuerwehr oder von Krankenhäusern priorisiert werden sollte, selbst wenn dies für Nutzer kurzzeitig zu einer langsameren Internetverbindung führt (60 Prozent Kroatien; 58 Prozent Tschechische Republik; 63 Prozent Griechenland; 68 Prozent Schweden; 50 Prozent Deutschland).
Besonders überraschend: Für viele Befragte ist es in Ordnung, wenn Anwendungen für einige Nutzer priorisiert werden, sofern sie für diesen Service auch mehr bezahlen (63 Prozent Kroatien; 69 Prozent Tschechische Republik; 58 Prozent Griechenland; 50 Prozent Schweden; 47 Prozent Deutschland).
„In Bezug auf das Internet verlangen User einen uneingeschränkten Zugang und eine gute Verbindungsqualität sowohl für sich selbst als auch für andere. Aber die Netzneutralität ist für sie nicht der Heilige Gral“, erklärt Dr. René Arnold (Abteilungsleiter bei WIK-Consult und Projektleiter der Studie).
Abweichungen von der Netzneutralität ermöglichen vielmehr Chancen für die zukünftige Vermarktung von qualitätsdifferenzierten Diensten für den Internetzugang in den eigenen vier Wänden. Während solche Angebote beim mobilen Internetzugang schon lange vorhanden sind, ist noch nicht klar, wie die Nutzer auf solche Angebote für ihren Internetanschluss zu Hause reagieren.
Insgesamt beeinflussen solche Produkteigenschaften, die das Thema Netzneutralität betreffen, die Hälfte aller Kaufentscheidungen. So sind neben dem Preis besonders Datenvolumina, Zugang zu Videostreaming-Portalen und Download-Geschwindigkeit wichtig. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen, dass es von entscheidender Bedeutung ist, wie Internetprovider die neuen Serviceangebote gestalten und kommunizieren.
„Die Verbraucher legen beim Thema Fairness eine ausgeprägte Sensibilität an den Tag. Sie sind sich darüber im Klaren, dass qualitätsdifferenzierte Services nicht nur den Nutzer betreffen, der für sie bezahlt, sondern auch weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen nach sich ziehen können. Dies ist eine wichtige Erkenntnis für Internetprovider, denn die Netzneutralität ist eines der wenigen Themen, die Verbraucher zum Wechseln bewegen“, sagt Dr. Anna Schneider, Senior Consultant bei YouGov.
Laut Studie würden in Deutschland 89 Prozent der Befragten ihren Anbieter wechseln, sollte dieser das Datenvolumen für den Internetanschluss zu Hause begrenzen. In den anderen Ländern ist dieser Anteil etwas geringer (84 Prozent Kroatien; 78 Prozent Tschechische Republik; 86 Prozent Griechenland; 79 Prozent Schweden).
Dietmar Braun