Assekuranz muss sich verändern
17.05.2016
Die Assekuranz muss sich digital und analog umstellen © fotogestoeber - Fotolia.com
Die Experten der Management-Beratung Bain warnen die Versicherungswirtschaft die Folgen der Digitalisierung zu unterschätzen. Die neue Technologie erfordert mehr Kunden- und Nutzerservice.
2016-05-18 (fw/db) Nach anfänglichem Zögern treibt die Assekuranz ihre Digitalisierung nun voran. Die Versicherungsunternehmen legen digitale Kundenbindungsprogramme auf, bringen neue Tarife unter Nutzung digitaler Technologien auf den Markt und setzen auch intern zunehmend auf digitale Prozesse. Analysen der Managementberatung Bain & Company zufolge erlebt die Versicherungsbranche derzeit spürbare Veränderungen in fünf Bereichen: digitale Plattformen, Omnikanal, Big-Data-Nutzung, Dunkelverarbeitung und Aufbau agiler Organisationen. „Für die meisten Versicherer ist die Digitalisierung eine der höchsten Prioritäten, wenn nicht die höchste. In diesen Bereich investieren viele Anbieter mittlerweile dreistellige Millionenbeträge“, sagt Dr. Christian Kinder, Bain-Partner und Leiter der Praxisgruppe Versicherungen im deutschsprachigen Raum. Noch am Anfang steht die Versicherungswirtschaft bei interaktiven digitalen Plattformen, die klassische Internetportale ersetzen sollen. Diese Plattformen sollen den Versicherten und Interessenten eine zentrale Anlaufstelle für alle Themen bieten, wie zum Beispiel Gesundheit oder Kraftfahrtversicherung. Dies soll das Nutzererlebnis kreativ anregen und zusammen mit neuartigen Bonusprogrammen die Kundenbindung stärken. So begegnen etablierte Häuser auch der Gefahr, dass sich Intermediäre zwischen die Anbieter und ihre Kunden drängen, wie bereits in anderen Ländern vor allem bei der Assekuranz und Banken durch Fintech- und Insuretech-Anbieter geschehen. Dem gleichen Ziel dient der Wandel vom Multi- zum Omnikanal. Mit der Vernetzung ihrer zumeist siloartigen Vertriebsstrukturen schaffen die Versicherer eine grenzenlose Kundenreise. Die Kundendaten stehen so zu jeder Zeit auf allen Vertriebskanälen zur Verfügung.
Bis zu 40 Prozent weniger Prämie dank digitaler Technologie
Auch bei der Nutzung von Big Data und dem Einsatz von Advanced Analytics hat die Aufholjagd begonnen. Bis 2020 planen die Lebensversicherer, ihre Ausgaben für Big-Data-Analysetechnologien pro Jahr um 24 Prozent zu steigern, die Sachversicherer sogar um 27 Prozent. Vorreiter ist die Kraftfahrt-Versicherungs-Sparte. Erste Telematik-Tarife nutzen bereits Boxen oder Apps, um das Fahrverhalten zu messen und individuelle Beiträge zu kalkulieren. „Jüngere Autofahrer können bei einigen Telematik-Tarifen bis zu 40 Prozent der Prämie sparen. In den nächsten Jahren dürften diese Tarife deshalb deutliche Marktanteile erobern“, prognostiziert Bain-Partner und Versicherungsexperte Dr. Florian Mueller. „Die Nutzung großer Datenmengen ist eine Kernkompetenz und das Herzstück von Versicherungsunternehmen. Und dies wird sich im 21. Jahrhundert durch Big Data und Advanced Analytics noch deutlich weiterentwickeln“, sagt Experte Mueller bezogen auf innovative Tarifgestaltung. Allerdings müssen die Unternehmen dafür bestehende Denkmuster aufbrechen und interne wie externe Daten konsequenter nutzen. Dies beschleunigt nicht zuletzt die Entstehung dynamischer, selbstlernender IT-Systeme. Eine intelligente Dunkelverarbeitung hält laut Bain-Analyse bereits Einzug in zentrale Prozesse wie Underwriting und Schadenmanagement. Die wohl größte Herausforderung ist für die Branche derzeit jedoch die Entwicklung agiler und flexibler Organisationen im Vertrieb und im Service für Versicherte. Denn über den Erfolg im digitalen Zeitalter entscheiden Geschwindigkeit, Agilität und Fehlertoleranz – Faktoren, die für das wenig an seinen Kunden orientierte Versicherungsgewerbe bisher eher untypisch waren.
Grundregeln für den Kulturwandel in der Assekuranz
An diesem Kulturwandel führt jedoch für die Versicherungsbranche kein Weg vorbei. Erste Anbieter experimentieren bereits mit Hackathons und Digital Days, andere etablieren hauseigene Labs zur Förderung von Innovationen. Ein Stillstand bei der Digitalisierung verbietet sich schon aufgrund der wachsenden Zahl branchenfremder digitaler Angreifer sowie des immensen Kostendrucks. Deshalb müssen die Unternehmen ihre digitale Transformation zügig vorantreiben und dabei nach Meinung der Bain-Experten vier Grundregeln beachten:
- Konsequentes Denken aus Kundensicht. Knapp 80 Prozent der Kunden wollen in den nächsten fünf Jahren über digitale Kanäle mit ihrem Versicherer interagieren. Je besser die Anbieter auf diese Bedürfnisse eingehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, ihre Kunden langfristig zu binden.
- Entschlossenes Handeln ist das Gebot der Stunde. Die Hoffnung trügt, das Risiko von Fehlentscheidungen und -investitionen durch eine Bündelung von Maßnahmen in einem großen Projekt minimieren zu können. Sehr reell ist dagegen die Gefahr, den Anschluss an den Markt zu verlieren.
- Aufbruchsstimmung in allen Abteilungen. Die Digitalisierung ist kein Vorstands- oder Abteilungsprojekt, sondern muss das gesamte Unternehmen erfassen sowie von allen Führungskräften verstanden und gelebt werden.
- Wandel wird Alltag. Versicherungen denken langfristig und aus Risikoperspektive. Das ist in der Tarifkalkulation und im Underwriting auch weiterhin notwendig. Gleichzeitig brauchen die Versicherer jedoch auch einen größeren Risikoappetit gepaart mit einer „Fast-Failure-Kultur“, um im Versicherungsmarkt von morgen zu bestehen.
„Die Versicherer beginnen, die Digitalisierung zu leben und die bisherigen Fortschritte sind ermutigend“, meint Bain-Experte Kinder. Zunehmend werden digitale Geschäftsmodelle erkennbar, mit denen sich weiterhin attraktive Erträge und Margen erwirtschaften lassen. „Wer sich dem digitalen Wandel verschließt, gefährdet seine Existenz. Allen Marktteilnehmern muss klar sein: Die Zukunft der Versicherer ist digital“, warnt Bain-Experte Kinder. Dietmar Braun