Anatomie eines US-Bullenmarktes
14.03.2024
Nadège Dufossé, Global Head of Multi-Asset - Foto: © Candriam
Die Erholung des US-Marktes seit Oktober ist im Vergleich zu historischen Beobachtungen außergewöhnlich: 1989 war das einzige Jahr in den letzten 50 Jahren, in dem der S&P 500 Index in 15 der letzten 17 Wochen gestiegen ist. Die aktuelle Dynamik kann sich fortsetzen, aber nach dieser außergewöhnlichen Anzahl aufeinanderfolgender Anstiege ist eine kurzfristige Konsolidierung wahrscheinlich. Diese Rallye ist umso beispielloser, als sie unabhängig von der Entwicklung der Zinssätze stattfand. Sie begann Ende Oktober 2023 mit der Vorwegnahme einer Zinswende im Jahr 2024 und unabhängig von der Anzahl der erwarteten Zinssenkungen (im Dezember 2023 wurden für die Fed sieben Zinssenkungen für 2024 erwartet, heute sind es 3).
Die „Magnificent 6“ gegen die Welt – der Sonderfall währt fort …
Die Saison der Gewinnveröffentlichungen unterstützte weiterhin den Anstieg der Aktienmärkte. Dies gilt insbesondere für die USA, wo sich das Wachstum nach wie vor sehr stark auf die „Magnificient 7“ oder „6“ konzentriert, wenn man Tesla ausklammert, das seit Anfang des Jahres in Schwierigkeiten steckt.
Das vierte Quartal des vergangenen Jahres war von starken Ergebnissen geprägt, die leicht über den Erwartungen lagen und einen Anstieg des ausgewiesenen Gewinns pro Aktie (EPS) um sieben Prozent im Jahresvergleich markierten. Dieser Anstieg deutet auf eine Beschleunigung im Vergleich zum Vorquartal hin, wobei in den verschiedenen Sektoren eine allgemeine Überschreitung zu beobachten war, obwohl Materialien und Versorgungsunternehmen unter den Konsensschätzungen blieben. „The Magnificent 6“ (ohne Tesla), verzeichnete ein bemerkenswertes Wachstum von +68 % im Jahresvergleich, während die anderen Unternehmen ein bescheidenes Minus von vier Prozent verzeichneten. Ebenso wurden die Gewinne der großen US-Unternehmen für 2024 nach oben korrigiert, während die übrigen Aktien ihre Schätzungen nach unten korrigierten. Das Capex-Wachstum, das sich im vierten Quartal verlangsamt hat, wird 2024 voraussichtlich wieder anziehen, angetrieben von inländischen und KI-bezogenen Investitionen. Trotz der schwachen Prognosen für das erste Quartal hat sich die Stimmung der Unternehmen verbessert, was auf einen positiven Gewinnzyklus hindeutet. Umgekehrt gingen in Europa die Gewinne im vierten Quartal zurück, wobei die Sektoren Rohstoffe und Industrie insgesamt am schwächsten abschnitten.
Für 2024 wird nun ein Gewinnwachstum von drei bis vier Prozent für Europa und fast zehn Prozent für die USA erwartet, während der erwartete Aufschwung in den Schwellenländern beeindruckend ist (+16 %). Die Erwartungen an die Schwellenländer mögen fragwürdig sein. Die Erreichung eines so starken Gewinnwachstums wird vor allem davon abhängen, ob China, das in den letzten Jahren immer wieder enttäuscht hat, in der Lage ist, Wachstum zu erzeugen. In Europa sind die Erwartungen angesichts des anhaltend schwachen Wirtschaftswachstums gedämpfter und realistischer. In den USA ist die Wirtschaft nach wie vor äußerst widerstandsfähig, und die transatlantische Gewinnwachstumslücke könnte erneut dem Unterschied in der Wirtschaftsleistung folgen.
...und nährt eine zunehmend bullische Positionierung und Stimmung
Die gute Entwicklung der Wirtschaftsaktivität und der Unternehmensgewinne schürte eine zunehmend optimistische Stimmung unter den Anlegern.
Eine der jüngsten Umfragen von BofA Merrill Lynch zeugt von großem Optimismus. Nur vier Prozent der 240 Befragten glauben, dass es 2024 in den USA zu einer Rezession kommen wird. Dies ist eine bedeutende Veränderung im Vergleich zum Vorjahr, als 85 Prozent derselben Befragten in dieser Hinsicht besorgt waren. Interessanterweise befürchten nur sieben Prozent, dass die steigenden Preise die Investitionen beeinträchtigen könnten. Der Marktausblick zeigt eine allgemein positive Stimmung, die Mehrheit der Anleger rechnet mit einer Fortsetzung des Bullenmarktes und zieht Aktien gegenüber Anleihen und Bargeld vor. US-Aktien werden am stärksten favorisiert, gefolgt von Japan, während Europa zum ersten Mal seit 2019 als bearish eingestuft wird.
Die Kapitalströme zeigen, dass Aktien bevorzugt werden, während Anleihen etwas weniger beliebt sind. Wie im letzten Jahr bleiben Barmittelanlagen, deren Verzinsung nach wie vor hoch ist, für zehn Prozent der Anleger ein sicherer Hafen. Auf den Aktienmärkten halten die Anleger ihre Engagements auf eine geringe Anzahl von Unternehmen konzentriert: die „Magnificent 7“ in den USA und die „Granolas“ in Europa. Small und Mid Caps weisen seit Jahresbeginn eine negative Performance auf. Obwohl die Bedenken hinsichtlich der Konzentration der Positionen bestehen bleiben, ist eine bullische Stimmung und Positionierung weiterhin möglich, insbesondere vor dem Hintergrund potenzieller Rotationen in risikoreiche Anlagen und nachlaufende Aktien.
Eine breitere Teilhabe anderer Sektoren und Regionen hängt nun von der wirtschaftlichen Dynamik und den Unternehmensgewinnen vor dem Hintergrund einer unter Kontrolle gehaltenen Inflation ab. Und darin liegt eine der Anfälligkeiten des Marktes. Die Inflation stellt für die Anleger keine Sorge mehr dar, und das Prinzip eines „Dovish Pivot“ wurde verworfen.
Marktkommentar von Nadège Dufossé, Global Head of Multi-Asset bei Candriam