An Tagen wie diesen..

10.09.2019

Foto: © Sergey Nivens - stock.adobe.com

7:45 Uhr – Du und dein Sohn

Kaum geschlafen und vom Partner ignoriert und jetzt noch dein Sohn, der rücksichtsvolle Selbstfürsorge mal wieder mit rücksichtslosem Egoismus verwechselt. Der Brotkorb leer, das Nutella auf dem Tisch und die offensichtliche Brotknappheit ist dem Spross herzlich egal … Doch was dich plagt, ist nicht der leere Brotkorb, das Nutella oder gar dein Sohn sondern der Neid. Nach einer bescheidenen Nacht, der Abweisung am Morgen bekommt er alles und das auf Kosten anderer. Wenn du das erkennst, wird sich dein Urteil über ihn mildern.

Du bist immer noch sauer und traurig, aber du erkennst, dass es um mehr geht als bloß um das gefühlte Fehlverhalten deines Sohnes. Es geht auch um dich und deine Bedürfnisse und deinen Umgang mit dir selbst, wenn sie mal auf der Strecke bleiben. Erkenne im Ärger auf das Verhalten eines anderen, dass darunter Ärger auf dich selbst liegt. Dein Gegenüber ist ein Spiegel, der dir zeigt, dass in deinem Leben etwas noch nicht rund läuft. Das ist leider immer so. Hinter dem Ärger auf jemand anderen schlummert Ärger über sich selbst.

8:40 Uhr – Du beim Bäcker

Brav in die Schlage eingereiht kommst du endlich dran. Da passiert es: Ein frecher Lümmel grätscht von der Seite dazwischen und fordert wie selbstverständlich eine Brezel. Und zu allem Überfluss wird er auch noch freundlich bedient und du merkst, wie der Ärger in dir aufsteigt … Doch worüber ärgerst du dich mehr? Über den Rotzlöffel oder den unaufmerksamen Verkäufer? Oder darüber, dass du nichts gesagt hast?

So schweigst du. Mal wieder. Und lässt andere in deinem Garten deine Blumen zertrampeln. Fühlst dich wie ein kleiner Junge, den keiner ernst nimmt. Übermüdet, unumarmt, nutellaberaubt nun auch noch überholt und stehengelassen – was für ein Tag. Du denkst, es kann nicht schlimmer kommen, doch es wird noch schlimmer kommen, denn du musst ja noch den Bus nehmen.

Bevor du das nächste Mal wieder schweigen solltest, sprich. Sprich irgendetwas, denn sprechen signalisiert: Du bist da, du wehrst dich. Erwarte nicht zu viel von deinen Worten, sonst sprichst du nicht. Sprich, setz dich ein für dich und deinen Fall, denn wer schweigt, stimmt dummerweise oft zu. Er stimmt zu, dass sich andere so verhalten können, auch wenn er es innerlich ablehnt. Wer will, dass sich andere benehmen, muss sprechen. Und da deine Eltern meistens nicht (mehr) bei dir sind, was durchaus gut ist, musst du es tun.

Du fragst dich jetzt vielleicht, was du beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation sagen könntest? Was hältst du hiervon: »Du bist gleich dran, ich bestelle nur noch schnell ein Nougat-Croissant. Keine Sorge, du bist auch gleich dran!«  Diese klare Ansage gepaart mit einer freundlichen, aber entschlossenen Stimme und einem gezielten Gang nach vorne zur Theke, bei der dich nichts und niemand aufhalten wird. Es muss dir nur wichtig genug sein, und die Leute werden sich nicht mehr vordrängeln. Es liegt allein an dir und dem Zeitpunkt und der Entschlossenheit deiner Worte, deiner Stimme und deiner Körpersprache. Du brauchst sie alle drei, um gekonnt Grenzen zu setzen.

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