Abnehmende Dominanz des US-Dollar und die Frage des Werterhalts

09.05.2023

Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei DONNER & REUSCHEL / Foto: @ DONNER & REUSCHEL

Das Wichtigste in Kürze:

• Der US-Dollar ist und bleibt vorerst die unangefochtene Weltleitwährung.

• Sowohl dem Euro als auch dem Yuan fehlen wesentliche Voraussetzungen für den Status einer Leitwährung.

• Allerdings nimmt die Dominanz des Dollar zugunsten anderer Währungen ab.

• Vor allem große Schwellenländer sind bemüht, ihre Abhängigkeit von der US-Währung zu reduzieren, und beginnen, Handels- und Finanztransaktionen in eigenen Währungen abzuwickeln.

• Wahrscheinlich wird die Dominanz des Dollar daher künftig weiter sukzessive abnehmen, auch wenn er auf absehbare Zeit an erster Stelle der wichtigsten globalen Währungen stehen wird.

• Für Handels- und Finanztransaktionen dürften einige andere Währungen im Gegenzug an Bedeutung gewinnen, u.a. der Yuan und die Rupie, ggf. auch der Euro.

• Auch als Wertspeicher bzw. sicherer Hafen der Kapitalanlage wird der Dollar wichtig bleiben. Allerdings wurde gerade im Zuge des jüngsten „Bankenbebens“ deutlich, dass klassische „Fiat-Money“-Währungen nach jahrlanger ultra-expansiver Geldpolitik an Vertrauen und Funktionalität als Wertspeicher eingebüßt haben. In diese Bresche sind seit Anfang März vor allem Gold und der Bitcoin gesprungen.

• Ich denke, dieser Trend dürfte anhalten und bietet – unabhängig von zwischenzeitlich wohl immer wieder massiven Volatilitäten – eine Grundlage für weiter steigende Kurse jeglicher realer sowie vieler Krypto-Anlagen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist der US-Dollar die im globalen Kontext mit Abstand wichtigste Währung, die Leitwährung. Eine oder mehrere Leitwährungen sind für eine globalisierte Welt mit vielfältigen internationalen Handelsverflechtungen sehr wichtig. Sie erleichtern Handelsgeschäfte und senken die Kosten durch nicht notwendige Absicherungen gegen Kursrisiken oder den entfallenden Umtausch in andere Währungen.

Die seit Jahrzehnten bestehende Dominanz des US-Dollar wird jedoch zunehmend infrage gestellt. So erhöht der Einsatz finanzieller Sanktionen vonseiten der USA bei den betroffenen Ländern den Anreiz, auf andere Währungen auszuweichen. Wenn einzelne Staaten von der Dollarversorgung abgeschnitten und von der Nutzung dollarbasierter Zahlungsverkehrssysteme ausgeschlossen werden, suchen sie nach Alternativen.

Das ist aufgrund des Netzwerkeffektes zumeist nicht schnell und unkompliziert möglich, denn die bestehende Leitwährung ist wegen ihrer weiten Verbreitung und Akzeptanz für die meisten Staaten und Unternehmen die erste Wahl für Handels- und Finanztransaktionen. Zudem ist die Voraussetzung einer Weltleitwährung nicht nur ein großer, sondern auch ein frei zugänglicher Wirtschaftsraum, den die US-Volkswirtschaft grundsätzlich darstellt. Allerdings schwächt der zunehmende Protektionismus der USA die Position des Dollar in genau dieser Hinsicht.

Vor allem einige Schwellenländer, unter ihnen China, Russland, Indien, aber auch Brasilien versuchen schon länger, sich vom Dollar zu lösen. So wickeln sie Rohstofftransaktionen verstärkt in Yuan, Rubel oder Rupie ab. Seit dem Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Informationssystem SWIFT, das für grenzüberschreitende Zahlungen genutzt wird, arbeiten Russland und der Iran an einer engeren Vernetzung ihrer Bankensysteme. Zudem versucht China, eine eigene Variante eines SWIFT-Systems zu errichten.

Aus Sicht Europas ist eine Alternative für den Dollar als Reservewährung nicht notwendig, allerdings wäre eine größere Bedeutung des Euro in diesem Sinne vorteilhaft. Tatsächlich aber ist eine Ablösung des Dollar als globale, breit akzeptierte Leitwährung derzeit nicht in Sicht, auch wenn der Anteil der US-Währung an den internationalen Währungsreserven seit dem Jahrtausendwechsel von rund 70 auf 58 % abgenommen hat.

Sowohl dem Euro als auch dem chinesischen Renminbi bzw. Yuan fehlen heute zentrale Voraussetzungen für einen Status als Leitwährung, im Falle der chinesischen Währung unter anderem die freie Konvertibilität. Genauso wie der Yuan hat der Euro keine Historie als stabiler und weltweit nahezu bedingungslos akzeptierter Standard. Ebenso fehlen ein mit den USA vergleichbar großer und liquider Kapitalmarkt sowie der stabile ordnungspolitische Rahmen, denn der Euro leidet unter dem Konstruktionsfehler eines unzureichend homogenen Währungsraums. Die Europäische Zentralbank (EZB) muss anders als die US-Notenbank Fed eine Geldpolitik für zwanzig teils fundamental sehr unterschiedliche Volkswirtschaften durchführen. Dabei richtet sie sich immer wieder nach den Bedürfnissen der wirtschaftlich und finanziell schwächsten Mitgliedsstaaten, um die ohnehin bestehenden Divergenzen bspw. bei der Staatsverschuldung nicht noch größer werden zu lassen. Zudem ist der Kapitalmarkt der Eurozone regulatorisch und funktional sehr fragmentiert. Insgesamt besteht daher immer noch die potenzielle Gefahr eines Auseinanderbrechens der Währungsunion.

Daher gilt der Dollarraum auch weithin als der sichere Hafen der Kapitalanlage. Immer wenn es irgendwo auf der Welt zu größeren Unsicherheiten kommt, transferieren Anleger ihr Kapital dorthin. Andere sichere Häfen wie der Schweizer Franken oder einige skandinavische Währungen sind in diesem Sinne viel zu klein.

Bemerkenswert ist allerdings, dass seit Anfang März im Zuge der Unsicherheiten im US-Bankensektor, die auch auf Europa ausgestrahlt haben und letztlich zum Verkauf der Schweizer Großbank Credit Suisse an die UBS führten, neben dem Euro auch Gold und der oftmals als digitale Währung bezeichnete Bitcoin deutlich zugelegt haben. Von einer ausgesprochenen Eurostärke kann aufgrund der genannten strukturellen Probleme nicht gesprochen werden: Eher ist die europäische Währung im direkten Vergleich zum US-Dollar derzeit das kleinere Übel, zumindest wenn man die Unsicherheiten im Bankensektor vergleicht, die in den USA weiter schwelen. Zudem zeichnet sich ab, dass die Zinsen in den USA früher als in der Eurozone wieder sinken werden.

Die steigende Nachfrage nach Gold und Bitcoin allerdings legt nahe, dass Anleger grundsätzlich skeptischer gegenüber klassischen Währungen wie Euro und Dollar werden und daher in alternative Wertspeicher diversifizieren, also Risikostreuung betreiben. Denn übergeordnet betrachtet leiden nahezu alle Währungen weltweit unter den Nebenwirkungen einer jahrelangen ultra-expansiven Geldpolitik, vor allem nur schwer wieder einzufangenden Inflationsraten. Zudem ist fraglich, ob die Notenbanken es jemals schaffen werden, ihre durch exzessive Wertpapierkäufe zwecks Flutung der Märkte mit Liquidität aufgeblähten Bilanzen wieder nennenswert zu reduzieren. Wahrscheinlicher ist, dass sie in anhaltend unsicheren Zeiten, in denen sich fundamentale Veränderungen ergeben, und angesichts tendenziell weiter ausufernder Staatsschulden immer wieder als Retter in der Not mit neuen expansiven geldpolitischen Maßnahmen einspringen müssen.

Damit wird unabhängig von einer schleichend abnehmenden Dominanz des Dollar als wichtigste Währung für Handels- und Finanztransaktionen ein Szenario wahrscheinlicher, in dem zumindest die Intention des Werterhalts zunehmend von Edelmetallen, anderen realen Anlagen wie Aktien und Immobilien oder auch Krypto-Anlagen erfüllt werden kann. Auf jeden Fall bewegt sich im Segment der Währungen gerade mehr als in den vergangenen Jahrzehnten. Auch hier stehen wir also vor den viel zitierten „Zeitenwenden“.

Gastbeitrag von Carsten Mumm,
Chefvolkswirt, Bankhaus Donner & Reuschel